Francesca Federspiel ist Erzieherin. Seit einem Monat arbeitet sie in ihrer Wunsch-Kita. Hier ist sie wie eine Personalmanagerin, nur eben für die ganz Kleinen. Und die sind nicht gerade leichter als Erwachsene zu managen.
Von Frederik Pourier
„Franziii“, wie die Kinder der St. Michael Kita Francesca Federspiel nennen, hat alle Hände voll zu tun. Neyla hat sie auf ihrem linken Oberschenkel geparkt, den Arm um ihre Hüfte gelegt. Mit Mia spielt sie mit dem anderen Arm an einem rechteckigen hellen Holztisch, in kinderfreundlicher Höhe, Klatschmemory. Im Paw-Patrol-Design, der gleichnamigen Kinder-Animationsserie, deckt sie um die Wette bunte Hundemotive auf. Wenn sich ein Pärchen findet, wird laut geklatscht. Zwischendurch richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf Paul, der ihr stolz seine wachsenden Zähne präsentiert. „Du kommst bestimmt bald schnell in die Schule“, versichert sie ihm, während der schon wieder halb woanders unterwegs ist. Franzi bekommt alle Bedürfnisse der Kita-Kinder irgendwie unter einen Hut. Den Wunsch nach eigenen hat die 27-jährige Erzieherin nicht: „Ich liebe die Arbeit mit den Kindern, aber ich freue mich, auch wenn ich zuhause bin, ein bisschen Ruhe ist und ich abschalten kann“, sagt sie. „Oh ja“ klingt es nur aus der Ecke von Viktoria, ihrer Kollegin.
Mit diesem Programm behält Franzi den Überblick
Zusammen betreuen Franzi und ihre Kollegin 25 Kinder der Bienengruppe, eine von fünf in der katholischen Kindertageseinrichtung in der Gladbecker Stadtmitte. Der Raum für Franzis Gruppe ist unverkennbar. Die Tür ist schon mit einer großen schwarz-gelben Honiglieferantin versehen, in gelbgold-roten Lettern steht „BIENENGRUPPE“ drumherum. An den Wänden hängen verschiedene Basteleien in Bienenoptik, unter anderem ein großes Bienenwabenmuster mit den Geburtstagen aller Kinder. An der Tür begrüßt Franzi in ihrer langen grauen Cardigan-Jacke das nächste Mädchen, was gebracht wird. Anschließend trägt die Erzieherin sie im Kita-Plus-Programm für den Tag ein und überblickt, wer alles um neun Uhr da ist. Das ist die Zeit, zu der die Kinder spätestens da sein sollten. „Aber es gibt auch ganz viele, die kommen um viertel nach neun oder halb zehn“, sagt Franzi mit lang gezogener, ironischer Stimme und hochgezogenen Augenbrauen.
Eine Magnettafel als Personalliste
Manchmal bleiben Kinder auch wochenlang der Kita fern. „Irgendwann muss man dann aktiv werden“, beteuert Franzi. Es gibt schließlich genug Eltern, die für ihre Kinder nach einem Platz suchen. Sie erzählt: „Hier rufen ganz oft Eltern an, jeden Tag.“ Franzi war schon mal stellvertretende Leiterin in einer Einrichtung in Bottrop. Dort habe sie 200 Anfragen auf einen Platz bekommen. Zehn Kinder konnte ihre alte Kita davon nur aufnehmen. Plötzlich sammelt sich eine Traube um die 27-Jährige, alle wollen Richtung Turnhalle. Franzi koordiniert, wer zuerst darf, wer sich noch gedulden muss. Beim Verlassen des Bienenraums muss jedes Kind seinen, mit eigenem Foto versehenen Magneten, an der Magnettafel auf das Bild setzen, wo es gerade hin ist. Sei es die Turnhalle oder eine andere Gruppe. Es ist Franzis Personalliste.
„Es wird eigentlich immer schlimmer“
Seit zehn Minuten hat Franzi Linus auf dem Arm, einen besonders liebebedürftigen Jungen. Inmitten der Kuscheleinheit spielt sie immer wieder die Organisatorin. „Wo ist die Lisa hin?“. „Die Lisa ist bei den Bären“, lautet die Antwort von einem der Kinder. „Helft bitte da wieder den Turm aufzubauen“, schlichtet sie schnell den Streit um eine umgekippte Gummiholzkonstruktion. „Dürfen wir jetzt in die Turnhalle?“ muss Franzi beantworten. Der Nächste will auf den Arm. Besonders stressig findet sie das alles nicht. „Es gibt aber Situationen, wo die Kinder gerne mal aufdrehen, wo wir sie auf den Boden der Tatsachen zurückbringen müssen.“
Franzi pendelt um kurz nach zehn zwischen Bienenraum und Tür zum Außenbereich, wo vereinzelt Kinder der Gruppe spielen. Zwei Augen für über 20 wieselnde Drei- bis Sechsjährige. „Ahmet, pack den Stock weg“, ruft sie auf den Hof. In der Lese- und Entspannungsecke, die mit großen grünen Sitzsäcken und zwei grünen Blättern als Sonnensegel samt Lichterketten besonders gemütlich ausgestattet ist, liegt Mehmet für sich allein. Franzi sorgt sich: „Alles gut?“. Der kleine Mann scheint verschlafen zu sein, nickt nur schüchtern. Die Kinder liegen der Erzieherin am Herzen. „Manche sagen, mit der Zeit wird es einfacher, die Kinder später zu verabschieden“, wenn sie ins Schulalter kommen. „Aber es wird eigentlich immer schlimmer“, findet sie. „Da heult man auch schon mal. Für mich war es am schlimmsten, als ich nach dem Anerkennungsjahr das erste Mal meine Kinder verabschiedet habe.“
Personalmangel überall
2019 hat Franzi ihre Ausbildung zur Erzieherin mit dem Anerkennungsjahr abgeschlossen, hier im St. Michael Kindergarten. Weil keine Stelle frei war, ist die Mülheimerin seitdem rumgekommen. „Ich war schon bei verschiedenen Trägern, bei der AWO und bei der evangelischen Kirche.“ Nun war wieder eine Stelle in Gladbeck frei, Franzi hat sich sofort beworben. Ihre Chefin Katja Wuff ist froh darüber: „Franzi ist erst seit Januar hier und macht das wirklich gut. Wir sind sehr froh, dass sie zu uns gekommen ist. Es war gar nicht so einfach jemanden zu finden.“ Der Personalmangel, das betonen beide im Einklang, sei die größte Herausforderung für Kitas. Und der erstreckt sich von zu vollen Erzieherschulen, auf lange Wartelisten bei Logopäden bis hin zu Führungsjobs in den Einrichtungen, die keiner mehr machen will. „Die Stelle als stellvertretende Leitung ist seit September ausgeschrieben und wir haben noch keine Bewerbung“, erzählt Wuff. Um kurz vor zwölf ist Mittagessen. Franzi verteilt weiße Teller mit regenbogenfarbenem Rand und rosa Tassen auf den vier Tischen der Bienengruppe. Wo sie gerade nicht ist, wird mit dem Geschirr geklirrt, was das Zeug hält. Für einen Moment ist Ruhe, es gibt Fischstäbchen mit Spinat. Die 27-Jährige hat anschließend noch selbst eine halbstündige Mittagspause für sich, bevor der alltägliche Wahnsinn weitergeht.
Comments are closed