Es gibt Geschichten, die beginnen mit einem Knall. Seine begann mit dem Klacken von Handschellen und Polizeisirenen. „Das war der beste Tag meines Lebens“, sagt er. Früher einer der größten Drogendealer Europas. Heute ist er raus. Es bleibt nur ein Name, der nicht viel verrät – Ghost.
Von Zehra Uslubas
Es ist das Jahr 2016, der 6. Oktober, 14:23 Uhr um genau zu sein. Ghost wird verhaftet. „Woher weißt du die genaue Uhrzeit?“, frage ich. „Der Typ, der mich verraten hat, das war ein Freund“ sagt er. „Um 14 Uhr sollte er kommen und seine Ware bezahlen. Ich habe auf 25 Tausend Euro gewartet und vier Kilo Hasch. Der war normalerweise immer überpünktlich.“ Sein Freund kam nicht. Er ging zum Keller, wo sein Smart stand, und fuhr zur Ausfahrt. Er erinnert sich noch genau. „Die Schranke geht hoch“, sagt er. „Und dann guck ich links hält ein Auto an, dann rechts, vor mir und hinter mir. So dass ich nicht mehr raus kann. Direkt richten sie die Waffen und schreien: ‚Hände auf’s Lenkrad‘. Ich guck noch einmal auf mein Handy. Es ist 14:23 Uhr.“
Seine Geschichte könnte hier enden. Sie könnte hinter Gittern enden, in einer Blutlache, oder einer anonymen Statistik. Auf den Straßen gibt es Viele, die so enden. Ihre Namen – kennt auch keiner. Dasselbe Schicksal hätte Ghost einholen können. Aber er war schneller.
Vielleicht liegt es in den Genen. Anfang der 90er im Afghanistan, war da eine Frau, die rannte – vor den Russen, vor dem Krieg, vor ihrem Schicksal. „Die Munition flog an ihrem Ohr vorbei. Da war ich in ihrem Bauch“, erzählt er. Zwei Monate später öffnet Ghost seine Augen – im Flüchtlingsheim in Gießen.
Mit fünf Jahren zieht er mit seiner Familie das erste Mal in eine eigene Wohnung. Zwei Zimmer, 70 Quadratmeter. Fünf Brüder, die Schwester, Mama, Papa und der Onkel. Danach zog er noch ganze elf Mal um: Dietzenbach, Oberhausen, über Frankfurt, nach Hanau und Offenbach. Es scheint fast so, als wäre er sein ganzes Leben lang auf der Flucht gewesen.
Das ist er heute nicht mehr. Ich treffe ihn im „Origin Beef“, einem Burgerladen in einer Seitenstraße in Offenbach. Hier kennt jeder jeden. Draußen stehen Leute, plaudern miteinander, trinken Tee. Ein Auto hält, ein Fahrer winkt. Ghost gibt auf dem Weg in den Laden gleich mehreren Leuten die Hand, ein kurzes: Wie geht’s, ein Nicken, dann ist er drin.
Die Tür geht auf. Da steht ein Mann, etwa 1 Meter 80 groß. Eine karierte Jacke mit Innenfutter, ein faltenfreies, beiges Hemd darunter. Olivgrüne Hosen, schwarze Wintermütze, die fast die dichten Augenbrauen berührt. Der Vollbart? Schwarz, so lang, dass er den Hals komplett verdeckt.
Der Laden gehört einem seiner engsten Freunde, Ramo, dem Rapper. Christian ist auch dabei, Ghost‘s alter Schulfreund und früherer Kurier. Kaum haben die drei sich gesehen, spürt man förmlich die Energie im Raum. Lachen, Stimmen durcheinander, Schulterklopfen.
Ghost stellt eine Auswahl an Getränken auf den Tisch. „Ich weiß nicht, was ihr am liebsten trinkt“, sagt er, fast entschuldigend, während Ramo das Essen bringt. Danach sammelt Christian die leeren Tabletts vor uns ein, Ramo räumt ab. Als wäre er nicht Rapper sondern Kellner. Er fragt, ob ich ein Gruppenbild von den drei machen kann und entschuldigt sich gleich darauf für den Aufwand. Es wirkt nicht aufgesetzt, sondern selbstverständlich. Ich sitze mit zwei ehemaligen Drogendealern und einem Gangster-Rapper am Tisch. Statt harten Posen gibt es aber Lachen und Servietten-Nachschub.
Es ist erstaunlich schwer, etwas über Ghost herauszufinden, selbst wenn er dir direkt gegenübersitzt. Er redet viel, aber nie über sich. Stattdessen erzählt er Geschichten von anderen – Freunden, Brüdern, Bekannten. Als ob er sich in ihren Erlebnissen verstecken würde.
Und wenn er etwas erzählt, versteckt sich immer ein Stück Selbstkritik darin. „Ich habe schon Millionen Euro in bar gezählt“, sagt Ghost. „Ich hatte alles: Autos, Frauen, Ansehen…
Das war meine Prüfung, und ich hab so reingeschissen.“
Doch dieser Reichtum hatte seine Schattenseiten. Ramo nennt sie „die Unterwelt.“ Eine Welt, in der andere Regeln gelten „Ghost redet ungern darüber, weil es nicht gerade schmeichelhaft ist.“ Dann kann er sein Lachen nicht zurückhalten. „Wenn das ein Studiengang wäre, hätte er den Master. Nein, er hätte Kurse gegeben.“
Kurz vor unserem Treffen fragte Ghost mich, ob ich 4 Blocks kenne, eine Serie über Clan-Kriminalität. Ich sagte, ich hätte sie abgebrochen – zu brutal. Er lächelte mit diesem Blick, als würde er mir sagen wollen: wenn du nur wüsstest. Und dann sagt er: „Das war die Light-Version von meinem Leben.“
Das war nicht immer so. Seine Kindheit war „harmonisch“, geprägt von Disziplin. Er war gut in der Schule und im Training. Mit 16 träumte er davon, Profiboxer zu werden. „Weißt du, niemand hat in mich investiert. Das hat mir das Herz gebrochen. Und ich stand vor der Frage:
Bist du ein Name oder eine Nummer?“
Dieselbe Frage stellte sich, als er das erste Mal verhaftet wurde. Dort bekam Ghost seinen Spitznamen. Man nannte ihn so, weil er freiwillig in der Zelle blieb, während andere den Hofgang nutzten.
Die Anfangszeit beschreibt er als „komplett depressiv.“ Am vierten Tag trifft er einen „Bruder“, der ihn an seine Religion erinnert. „Das war wie eine Impfung“, sagt er und schnipst. Noch am selben Tag beschließt er, alle Geschäfte zu beenden. „Das ging so“, sagt er und schnipst nochmal. Seine damalige Frau, eine Ukrainerin, die Lehramt studiert, stand kurz vor ihrem Umzug. „Ich habe zu Gott gebetet, dass ich rauskomme, nur um ihr zu helfen.“ Tatsächlich wurde er entlassen. „Eine Lektion habe ich gelernt: man muss sehr genau sein beim Beten.“ Nach seinem Umzug lief er mit eigenen Füßen zu seiner zweiten Verhaftung.
„Haftbefehlserweiterung“
Wahrscheinlich haben die meisten diesen Begriff noch nie gehört. Aber Ghost spürte die Härte von vier extra Silben. „Dieses Wort vergesse ich nie. Ich wusste nicht mal, dass es sowas gibt“, sagt er.
Nach seinem Umzug ist er ins Polizeirevier gegangen. Dort hatte er seinen alten Wohnungsschlüssel als Kaution abgegeben. Routine – dachte er. Er wollte den alten abholen und den neuen abgeben. „Die gucken mich alle so komisch an. Ich denk mir: Bin ich Pablo Escobar, oder was?“
Drei SEK-Beamte standen da und der Oberkommissar, der seinen Fall leitete. „Was machen Sie denn hier?“ Ghost bleibt frech: „Habt ihr gedacht, ich bleib hier? Ich hab doch gesagt, ich komm raus.“
Kurz darauf der Satz: „Gut, dass Sie da sind.“ Eine Hand greift ihn. „Haftbefehlserweiterung.“ Er sagt: „Wir wollten Sie gerade holen und Sie kommen zu uns wie gerufen.“
„Ich wurde wieder verhaftet, weil der Typ, der mich verraten hat, wieder ein Lebensgeständnis gemacht hat“, erklärt Ghost. Erst auf dem Weg zur Zelle kam das Grinsen. „Allah hat mein Gebet wortwörtlich genommen.“
„Was hat sich jetzt in deinem Alltag verändert?“ frage ich. „Eigentlich nichts“ sagt er. „Immer noch dasselbe. Training, Arbeit, Freunde, Familie.“
Aber das Training bedeutet jetzt nicht mehr, den Traum eines 16-Jährigen zu leben. Heute trainiert er „etepetete Leute“, die alle einen „Stock im Arsch“ haben, wie er selber sagt.
Die Arbeit ist auch nicht mehr dieselbe. Nicht so ganz. Er möchte in den Lebensmittelgroßhandel in Kolumbien einsteigen. Dort Avocados verkaufen. Es fühlt sich fast so an, als würde er immer noch dealen, nur diesmal mit Avocados.
Die Kontakte vor Ort hat er bereits. Die reichen von Vizepräsidenten, bis zu Ärzten, Dozenten, Rappern und Schauspielern. „Es gibt nichts, was ich nicht besorgen kann“, sagt er. Das glaube ich ihm.
Als wir aus dem Laden gehen, meint er: „Du musst noch mit diesen Kollegen von mir reden. Er ist voll witzig.“ Er ruft keinen geringeren an als den Comedian, Shayan Garcia. „Ich dachte mir immer: Häh das passt nicht. Der ist viel zu nett für einen Gangster. Ich habe schon echt schlimme Witze über ihn gemacht und er hat einfach gelacht.“
Das Gefühl, dass etwas nicht passt, habe ich auch. Zwei Wochen später fragt Ghost mich erneut: „Warum wolltest du meine Geschichte? Ich hätte dir die krassesten Rapper aus Frankfurt besorgt. Warum kein Interview mit Haftbefehl, sondern mit mir?“
Es sind die Geschichten, die am wenigsten auffallen wollen, die wir erzählen müssen.
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