Benjamin Legewie ist zentraler Ansprechpartner für die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft (Foto: Adrian Masi)
Benjamin Legewie ist seit neuneinhalb Jahren Sozialarbeiter. Er kümmert sich um die Flüchtlingsunterkunft an der Josef-Wulff-Straße in Recklinghausen.Besonders mag er, dass er mittendrin dabei ist.
Eine Reportage von Adrian Masi
Sobald man durch die Eingangstür in die Flüchtlingsunterkunft an der Josef-Wulff-Straße eintritt, riecht man sofort, dass hier viel gekocht wird. Heute kocht Olga in der Küche Borschtsch, einen Eintopf nach ukrainischer Art. Sie ist kurz nach Kriegsbeginn im März 2022 aus Charkiw nach Deutschland geflohen. „Olga ist hier quasi die Generalin, das ist wirklich unglaublich. Sie kümmert sich um alles hier“, so Benjamin Legewie. Olga gefällt es hier, trotzdem möchte sie nach dem Krieg wieder nach Hause. Was sie besonders überrascht: Jedes Geschäft in Deutschland hat eine eigene Kasse, egal wie klein das Geschäft auch ist. In der Ukraine sei das oftmals nicht so.
Für Benjamin Legewie fängt der Arbeitstag oft zuhause mit einer Tasse Kaffee in der Hand an. An manchen Tagen muss er seinen Sohn noch zur Kita bringen. Danach geht es zu seinem Büro in der Flüchtlingsunterkunft an der Josef-Wulff-Straße in Recklinghausen. Auf dem Flur der Unterkunft ist buntes Treiben, ständig öffnet jemand die Tür, um zu der Gemeinschaftsküche oder den Waschräumen zu kommen. Benjamin Legewie kennt jeden und sagt immer herzlich hallo.
Inzwischen arbeitet Legewie seit acht Jahren für den Sozialdienst katholischer Frauen als Sozialarbeiter. Den Bachelor in sozialer Arbeit hat er in Fulda gemacht. Was er besonders mag, ist das Dabeisein. „So bin ich direkt verbunden mit den Leuten, mittendrin sozusagen.“

Alltag für die Bewohner
In der Flüchtlingsunterkunft leben hauptsächlich ukrainische Geflüchtete, die dem Krieg in ihrem Heimatland entkommen wollten. Natalia ist im Juli 2022 nach Deutschland geflohen. Sie lebt in der Unterkunft zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Ehemann. „In der Ukraine hatte sie eine eigene Parfümerie, inzwischen hat sie Arbeit in einem Hotel gefunden“, schildert der Dolmetscher.

Bescheidene Raumausstattung
„Jede Person bekommt ein Bett mit Matratze, einen Tisch mit Stuhl, einen Spind und eine mobile Heizung pro Zimmer“, so Legewie. „Bei Maximalauslastung leben drei Menschen dann in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer. Das kann schon eng werden.“ Trotzdem seien die Menschen froh, eine sichere Unterkunft zu haben.

Hilfe trotz Sprachbarrieren
Auf Benjamins Schreibtisch stapeln sich schon die Briefe und Unterlagen. Die bürokratischen Hürden für Flüchtlinge seien sehr hoch. Dazu kommt, dass viele Flüchtlinge kein bis wenig Deutsch sprechen können. „Ich helfe den Menschen bei der Wohnungssuche, Sprachkurse zu finden, der Integration und vielem mehr.“ Besonders schwierig sei es, Arzttermine auszumachen. „Natürlich wollen die Leute zu einem Arzt, der Ukrainisch oder Russisch spricht, davon gibt es aber eben nicht so viele.“
Benjamin Legewie kann selbst kein Ukrainisch. „Hallo und danke kann ich auf Ukrainisch sagen, aber für alles andere muss Google Translate her“, so Legewie. Und das funktioniere meistens auch ziemlich gut. Meistens. „Manchmal kommt da aber doch was ziemlich Wildes bei raus“, so Legewie. Das ukrainische Wort für „gut“ wurde eine Zeit lang immer in „Bußgeld“ übersetzt. „Ich habe mich schon immer gewundert, was mir die Leute damit sagen wollten.“
Glücklicherweise kommt montags immer Sascha vorbei. Er spricht fließend Russisch und Deutsch und hilft ehrenamtlich bei der Übersetzung. „Das ist eine enorme Hilfe für mich und die Bewohner“, so Legewie.
Beratung statt Betreuung
„Ich finde, dass Betreuung das falsche Wort ist, um meinen Job zu beschreiben. Ich sage immer gerne, dass meine Aufgabe allgemeine Sozialberatung ist“, so Benjamin Legewie. Am Montag von 13 bis 15 Uhr und Mittwoch von zehn bis zwölf Uhr bietet der Sozialarbeiter den Bewohnern der Unterkunft offene Sprechzeiten an. In den Sprechstunden werdenmeistens Briefe übersetzt, Dokumente erklärt und Kontakte vermittelt.
Überpünktlich kommen die ersten Besucher schon um 12.45 Uhr in Legewies Büro an. Bei Mykhailo gibt es Probleme mit dem Jobcenter. Eine Zahlung steht noch aus. Dafür muss er seinen Aufenthaltstitel vorlegen, den hat Mykhailo aber noch gar nicht. „Ich werde versuchen, die jetzt noch einmal zu erreichen, aber wie immer wird niemand ans Telefon gehen“, so Legewie. Das Jobcenter könne man nur von neun bis zwölf Uhr erreichen, was den Prozess erschwert.
Keine Minute später kommt Sergej vorbei, er möchte wissen, ob das Jobcenter ihm schon geantwortet hat. „Das wäreschön, aber wir haben erst letzte Woche den Brief verschickt. Das Ganze dauert immer ein paar Wochen“ sagt Legewie. Sergej bedankt sich in gebrochenem Deutsch und verlässt den Raum. Ständig rollt Benjamin Legewie zwischendurch mit seinem Bürostuhl von seinem Gast zu seinem Computer, um immer wieder die Dokumente zu überprüfen.
Weniger Schubladendenken
Benjamin Legewie wünscht sich, dass Menschen weniger stereotyp über Flüchtlinge denken. „Man muss individuell schauen und darf nicht sofort verallgemeinern.“ Zudem sei die Medienberichterstattung überwiegend negativ. Er glaubt, dass so viele Menschen ein sehr verzerrtes Bild von Geflüchteten haben.
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