Bildunterschrift: Die Alltagshelferin Tanja Krusemann besucht heute Frau Schmidt. Sie ist an Demenz erkrankt und auf Hilfe angewiesen. (Foto: Isabelle Krämer)
Demenz spielt in Tanja Krusemanns Leben eine große Rolle. Die 50-jährige Alltagshelferin arbeitet seit fünfJahren mit erkrankten Menschen zusammen. Sie ist der Meinung, dass dem Thema viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.
Eine Reportage von Isabelle Krämer
Die offene braune Holztür gibt den Blick auf eine gemütliche Wohnung frei. Ein angenehmer Geruch nach ätherischen Ölen empfängt Tanja. Durch den kleinen Flur erreicht man ein großes, helles Wohnzimmer, in dem sich eine braungetigerte Katze auf einem Sessel räkelt. Im Wohnzimmer steht die 84-jährige Gerda Schmidt, die sich auf ihren Rollator stützt. Sie wohnt mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter in der Wohnung. Ihr Name wurde redaktionell geändert und sie möchte nicht erkannt werden. Tanjas Gesicht wird von schwarzen langen Haaren umrahmt und ihre braunen Augen wirken warm und freundlich, als sie ihre Klientin anlächelt. Obwohl die Dame Tanja zunächst nicht erkennt, freut sie sich über ihren Besuch. Tanja folgt keinem festen Plan, sondern richtet sich nach Gerda Schmidts Wünschen. „Ich zwinge meinen Kunden nichts auf.“ Ihre Klientin geht am liebsten spazieren oder trinkt Kaffee. Manchmal machen die beiden auch Gymnastik.
Ein großer Wechsel
Tanja arbeitete ursprünglich als Altenpflegerin, doch die Arbeitsbedingungen frustrierten sie. Zehn Patienten gleichzeitig zu betreuen, fühlte sich für sie wie „Massenabfertigung“ an. Sie kündigte und eröffnete eine Gaststätte, aber Corona machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Auf der Jobsuche stieß sie vor zwei Jahren auf eine Stelle als Alltagshelferin in einem ambulanten Betreuungs- und Pflegedienst. Der Beruf begeisterte sie sofort: Kein Zeitdruck, individuelle Betreuung und abwechslungsreiche Aufgaben.

Die vier Jahreszeiten der Demenz
Diebeiden beginnen ein Gespräch mit Themen, die im ersten Moment nicht zusammenpassen. Manchmal wird Gerda Schmidts Blick unsicher und sie verliert den Faden. Tanja beruhigt sie dann.
Sie vergleicht Demenz mit einem Baum in den vier Jahreszeiten. „Am Anfang ist der Baum voller Blätter, die jedoch mit der Zeit immer weniger werden.“ Betroffene verlieren nach und nach ihre kognitiven Fähigkeiten und erinnern sich häufig nur noch an die Vergangenheit. Es gibt verschiedene Phasen der Demenz. Anfangs bemerken die Demenz-Erkrankten das Vergessen, was häufig zu Depressionen führt. Mit der Zeit ziehen sie sich in ihre eigene Welt zurück. Gerda Schmidt bewegt sich immer weiter auf dieses Stadium zu. „Sie schafft es noch ein paar Mal zurückzukommen, aber auch nicht mehr so lange.“

Gefühle bis zum Schluss
Gerda Schmidts Tochter betritt das Esszimmer und umarmt Tanja zur Begrüßung. Die alte Dame wirkt bedrückt und zieht die Augenbrauen zusammen. Sie sagt zu Tanja: „Und was ist mit mir?“ Gerda Schmidt hat vergessen, dass ihre Tochter sie bereits begrüßt hat. Tanja steht sofort auf und umarmt sie. „Nicht alle Betroffenen möchten umarmt werden, das ist sehr individuell.“ Ihre Klientin hat ein sehr liebevolles Verhältnis zu ihrer Familie. Das ist jedoch nicht immer der Fall. „Der größte Feind der Demenz sind die nahestehenden Personen.“ Einige Angehörige reagieren mit Wut und Unverständnis auf die Demenz. Andere verniedlichen die Betroffenen. „Viele verfallen in diese Hutti-Tutti Sprache, ich finde das respektlos. Vor mir steht ein erwachsener Mensch, mit einer Lebenserfahrung, die ich niemals haben werde.“Es ist wichtig, dem Demenz-Erkrankten mit Geduld, Empathie und Respekt zu begegnen. „Die Menschen haben immer noch ein Gefühl dafür, wie mit ihnen umgegangen wird. Das Gehirn hört auf, aber das Herz nicht.“

Widerspruch ist zwecklos
Während des Gesprächs wird eine Sache besonders deutlich: Tanja widerspricht ihrer Klientin nicht. Als sie erzählt, dass die Firma, bei der Tanja angestellt ist, Tischdecken herstellt, stimmt Tanja ihr zu. Mit ihrer ruhigen und einfühlsamen Art hält sie das Gespräch aufrecht, trotz unerwarteter Wendungen. „Viele Leute würden fragen: Was erzählst du da?“ Das ist bei Demenz genau der falsche Ansatz. Bei einer solchen Reaktion, würde sich Gerda Schmidt nicht ernst genommen fühlen. „Dann will sie nicht mehr reden.“ Es ist wichtig, sich in den Erkrankten hinein zu versetzen. „Die Angehörigen müssen lernen, in die Welt der Betroffenen zu gehen, da diese nicht mehr in unsere Welt können. Das ist vorbei.“

Herausforderungen für Angehörige
Der 90-jährige Ehemann von Gerda Schmidt stellt eine kleine Schale mit Keksen auf den Tisch. „Für Herrn Schmidt muss das ganz schlimm sein, seine Frau zu verlieren, obwohl er sie jeden Tag sieht“. Tanja und Karl Schmidt haben besprochen, dass er die Zeit von Tanjas Besuch als Erholung nutzt. Für Angehörige ist es schwer, mit der Demenz eines Familienmitglieds umzugehen. Es ist wichtig, dass sich die Angehörigen auch Zeit für sich selbst einräumen.
Einen Demenz-Erkrankten bis zum Ende von zuhause aus zu pflegen, hält Tanja für unrealistisch, außer man hat eine 24-Stunden-Kraft. Betroffene haben kein Schmerzempfinden, was zu gefährlichen Situationen führen kann, wie das Waschen der Hände mit kochend heißem Wasser. Außerdem werden sie mit fortschreitender Krankheit rastlos, schlafen tagsüber und laufen nachts umher. „Du kannst den Menschen ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr aus den Augen lassen.“

Ein Teil der Gesellschaft
Tanja bemerkt oft, dass Demenz-Erkrankte bei Freizeitaktivitäten wie Restaurantbesuchen, ungern gesehen werden. Die Vergesslichkeit stößt einigen sauer auf. „Die Menschen sollten nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wie es gerade der Fall ist.“
Für Tanja wird es Zeit, zu gehen. Als sie sich von Gerda Schmidt verabschiedet, hat diese ein breites Lächeln in Gesichtund sagt: „Aber komm so schnell wie möglich wieder“. Tanja antwortet, wie jedes Mal: „Das werde ich“. Sie tritt aus der braunen Holztür und beendet ihren Arbeitstag.

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