Regionale Produkte, freilaufende Tiere und ein hohes Tierwohl. Was für einige längst Standard ist beim Lebensmitteleinkauf, ist für andere erst im vergangenen Jahr in den Fokus gerückt. Nachdem diverse Skandale in der Fleischindustrie an die Öffentlichkeit gelangt sind, fand bei vielen Menschen ein Umdenken statt. Weg von dem in Massen produzierten Fleisch, hin zu den regionalen Händlern. Christian Büenfeld ist ein junger Landwirt aus Gevelsberg, einer Kleinstadt im Ennepe-Ruhr-Kreis. Seit kurzer Zeit betreibt der 20-Jährige auch zwei Hühnermobile. Doch inzwischen ist es viel mehr für ihn als nur ein kleiner Nebenverdienst.

Eine Reportage von Jule Karthaus

Die dunklen Regenwolken hängen tief über der nassen, schon sehr matschigen Wiese im ländlichen Stadtteil Silschede. Sie liegt an einem Hang und unten im Tal steigt langsam etwas Nebel auf. Es dämmert bereits, als Christian Büenfeld die Wiese auf seinem roten Traktor bergab fährt. Den ganzen Tag schon regnet es. Am unteren Ende der Wiese steht ein weißer Stall mit kleinen, rechteckigen Fenstern. Das Hühnermobil sieht auf den ersten Blick nicht viel anderes aus als ein ganz gewöhnlicher Hühnerstall.

Und doch verbirgt er einige Vorteile, welche die Hühner-Haltung positiv verändern. Vor dem Stall ist ein großer Bereich mit einem grünen Zaun abgesteckt, in dem sich etliche Hühner tummeln.

Christian ist erst 20 Jahre alt, aber schon seit seiner Kindheit in der Landwirtschaft tätig. Kurz vor seinem Abitur entschied er sich dazu, die Schule zu verlassen und eine Karriere als Landwirt zu starten. Als der laut knatternde Traktor in Sichtweite ist, macht sich sofort Unruhe breit. Das Gackern wird schriller je näher der Traktor kommt. Viele der braun-weißen, fast rötlichen Tiere stürzen auf das Gefährt zu, erst der Zaun lässt sie abbremsen. Jedoch bekommen die hinteren das zu spät mit, sodass sie die vorderen unsanft in den Zaun drücken. Sie wissen, dass auf der Gabel des Traktors mehrere Kilo Getreide-Misch-Futter mit extra Mineralstoffen für sie geladen sind. „Die sind manchmal echt bescheuert“, grinst Christian.

Hühnerjagd

Er parkt seinen Traktor vor dem Stall und springt leichten Fußes aus der Fahrerkabine. Eigentlich arbeitet er hauptberuflich auf einem Bauernhof in Wetter, an der Grenze zu Gevelsberg. Von seinem Zuhause ist dieser dennoch nicht weit entfernt. Mit Hühnern arbeitet er dort nicht, sondern überwiegend im Ackerbau. Schon früh merkte er, dass er seine wahre Leidenschaft in der Landwirtschaft gefunden hat. „Es ist fast wie ein zweites Zuhause für mich. Schon als Kind habe ich fast jede freie Minute auf dem Hof verbracht“, erzählt Christian.

Ein kurzer Überblick über das Gelände genügt, um festzustellen, dass ein paar Hühner es wohl durch den Zaun geschafft haben. Seine Arbeit am Hühnermobil beginnt, indem er die geflüchteten Tiere einfängt. Mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit und schnellen Richtungswechseln der aufgescheuchten Hühner, ist es gar nicht so leicht sie wieder einzufangen. Auch der rutschige, heute besonders matschige Untergrund erschwert es eindeutig. Dafür bewältigt es Christian aber sehr souverän – Übung macht den Meister. An einer Stelle nahe des Hühnermobils liegen nur noch einige zerrupfte Federn auf dem Boden.

„Der Fuchs hat sich anscheinend eins geholt. Damit muss man eben rechnen in der Natur“, sagt Christian unbeeindruckt, während er die Tür des Stalls aufschließt.

Geboren für seinen Beruf

Seine „Hühner-Karriere“ begann mit ein paar wenigen Hühner im eigenen Garten. „Das sind aber mehr Haustiere als Nutztiere“, lacht Christian. „Manche sind davon schon über vier Jahre alt.“ Die Eier der Haus-Hühner hat er in einer selbstgebauten Box vor seinem Haus verkauft. „Die Leute nehmen sich die Eier heraus und legen dafür das Geld in eine Kassette. Das funktioniert ganz gut. Anfangs waren es vielleicht ein Dutzend Eier am Tag, die dann auch teilweise nach wenigen Minuten schon weg waren“, erzählt er, indem er das Hühnermobil durch eine Gittertür betritt. Im Stall ist nicht weniger los als außerhalb. Es riecht ein wenig muffig und feucht-nass. Dafür aber noch relativ angenehm, wenn man mit dem Wissen hineingeht, dass über 200 Hühner in dem Stall leben. Grund dafür sind die geöffneten Fenster, die dennoch durch ein Gitter ausbruchsicher sind. Noch immer verkauft er seine Eier in der Box vor seinem Haus, nur sind es jetzt etliche mehr. Beim Verkauf bekommt er nun auch Unterstützung von seiner Familie. „Meine Mutter bestückt jeden Tag den Kasten. Außerdem nimmt sie sich oft Zeit, um mit den Leuten zu reden. Das ist besonders wichtig, denn unsere Werbung läuft größtenteils nur über mündliche Weiterempfehlung hier im Dorf“, lacht der Landwirt.

„Do-it-yourself“ Hühnermobil

Mittlerweile sind einige der Hennen aus Neugier in den Stall zurückgekommen. Im Vorbeigehen streichelt Christian ein paar von ihnen sanft über den Kopf. Er kann sie zwar nicht alle auseinanderhalten, hat aber trotzdem eine persönliche Bindung zu ihnen. Durch die unerwartet hohe Nachfrage an seinen Eiern, kommt ihm im Sommer 2020 die Idee, das erste Hühnermobil zu bauen.

Zusammen mit einem Freund baut er einen alten LKW-Anhänger zu einem Hühnermobil um. Ohne eine Bauanleitung, aber mit viel Geschick und Spaß am Bauen steht nach kurzer Zeit ein vollfunktionstüchtiger Stall.

Dieser ist hoch genug, sodass ein durchschnittlich großer Mensch ohne Probleme aufrecht stehen kann. Da im Moment nur ein Bruchteil, der hier lebenden Tiere im Stall anzutreffen sind, kann man sich frei auf dem Gitterboden bewegen.

Es liegen nur wenige Federn, geschweige denn Dreck herum. Alles fällt durch das Gitter und wird von einer überdimensional großen Schale, die sich über die gesamte Fläche des Mobils erstreckt, aufgefangen. Diese kann Christian ganz einfach rausziehen und dann säubern. Während die einen Hühner etwas Futter picken, scheinen andere sehr interessiert an Christians Schuhen zu sein. Immer wieder mal spürt man ein schnelles Picken am Fuß oder Knöchel. Die kleinen Schnäbel sind erstaunlich spitz. Das Mobil hat er sich selbst erwirtschaftet. „Es war ein großes finanzielles Risiko. Mein Freund und ich haben jeder 6.000 Euro investiert. Das war das erste Geld, welches wir in der Ausbildung verdient haben“, überlegt Christian.

Eine erfolgreiche Idee

Rund ein Jahr später, diesen Sommer, folgt bereits das zweite Mobil. Jetzt gehört es aber ihm allein, weswegen er auch die Finanzierung komplett übernimmt. Beim Bau hat er zum Glück schon einiges an Erfahrung sammeln können. „Hier konnte ich die Mängel des ersten beheben und besser bauen, was mich an diesem gestört hat“, sagt der junge Landwirt. Insgesamt kümmert er sich jetzt um etwa 350 Hennen. Auch zwei Hähne leben in dem Mobil, in dem er jetzt steht. „Die haben keinen finanziellen Nutzen für mich. Sie sind nur für die Rangordnung zuständig, damit hier nicht alles drunter und drüber geht“, stellt er klar.

Über das Gegacker hinweg erklärt Christian, warum er sich für ein Hühnermobil und keinen gewöhnlichen Stall entschieden hat. „Da der Stall aus einem alten Anhänger gebaut ist, kann ich ihn jederzeit von A nach B bewegen. So haben die Hühner immer frisches Gras.“ Alle drei Wochen setzt er das Mobil um. Spätestens dann haben die Hühner den Boden so aufgescharrt, dass kein Stück Wiese mehr zu erkennen ist. An einer Stelle der leicht abschüssigen Wiese, tritt schon Wasser heraus. Dieser Fleck ist besonders schlammig, doch den Hühnern scheint es zu gefallen. Einer der Hähne tobt mit ein paar Hennen euphorisch im Matsch.

Ein fast autarker Hühnerstall

Verbunden sind innen und außen durch eine kleine Öffnung unten an einer der Außenwände. „Die Klappe öffnet sich morgens automatisch und geht auch abends wieder zu. Tagsüber können sie dann selbst entscheiden, wann sie raus oder rein möchten.“ Die Hühner wissen, sobald es dunkel wird, dass sie wieder reinmüssen. Der gesamte Strom wird eigens von Photovoltaikanlagen auf dem Dach des Mobils produziert. Der wird auch für das Fließband auf der gegenüberliegenden Seite der Öffnung gebraucht. Hier legen die Hennen ihre Eier, die dann aufs Band rollen und zu einem Ausgabeort an der Tür des Mobils befördert werden.

Ein paar wenige Eier haben es nicht aufs Band geschafft und Christian muss ihnen einen kleinen Stoß verpassen. „Das kann manchmal passieren, ist aber auch nicht schlimm. Der Großteil schafft es ja auf´s Band.“ Auch das Futter rieselt automatisch nach. Es gibt mehrere Futterstationen, damit es keinen Streit um den Platz gibt, ebenso bei der Wasserausgabe. Die Tiere schlafen auf einer Stange, die aus mehreren länglichen Holzbrettern besteht. 

Keine leichte Arbeit

„In der Regel bin ich jeden Tag so etwa eine Stunde hier. Manchmal dauert es länger, wenn ich zum Beispiel den Wasser- oder Futtertank auffüllen muss“, erklärt Christian, während er

die auf dem Traktor geladenen, kiloschweren Futtersäcke in das Mobil räumt. „Das muss ich so alle zwei bis drei Wochen machen. Klar ist es mal stressig und körperlich anstrengend, aber das gehört dazu.“ Das sind allerdings auch die größten, laufenden Kosten. Den Stellplatz des Hühnermobils bekommt er von den Besitzern kostenfrei gestellt. „Sie unterstützen den Gedanken hinter dem Hühnermobil und außerdem können sie die Hühner dann jeden Tag beobachten.“ Sowohl jüngere, als auch ältere Menschen kaufen ihre Eier bei Christian. „Natürlich sind die Eier aus dem Mobil etwas teurer als im Supermarkt

. Allerdings könnten sie auch nicht frischer und regionaler sein“, begründet er die hohe Nachfrage. Die Leute bezahlen gerne dafür. Nach circa 15 Monaten legen die Hühner aber nicht mehr genügend Eier, sodass sie sich rentieren. „Die sind extra so gezüchtet, dass sie viele Eier im Jahr legen. Normalerweise werden sie auch nur knapp zwei Jahre alt.“ Sobald das der Fall ist, werden sie zu Suppenhühnern verarbeitet. Doch noch legen alle seine Hühner genügend Eier.

Beruf mit Zukunft

Inzwischen hat er alle Säcke im Mobil untergebracht und die Futterstellen sind auch wieder aufgefüllt. Einige neugierige Hennen beobachten ihn sehr genau. Sie haben es sich oben auf dem Wassertank bequem gemacht und verfolgen jeden seiner Handgriffe. Im vergangenen Jahr sind Hühnermobile zu einem regelrechten Trend geworden und mittlerweile in jedem kleineren Dorf zu finden. „Die Menschen finden es toll, wenn sie die Hühner sehen können“, erzählt er, indem er die Tür des Mobils wieder verschließt. Viele kommen einfach so mal vorbei, um die Hühner zu besuchen, so fühlen sich auf eine Art und Weise mit ihnen und ihren Eiern verbunden. „Außerdem steht es hier mitten in der Natur.“

In naher Zukunft will der gebürtige Gevelsberger aber kein neues Mobil bauen. „Erstmal muss das erste erneuert werden und auf dem Stand des zweiten gebracht werden“, überlegt Christian. „Außerdem wäre dann die Abnahmemenge so groß, dass die Eier an weiteren Verkaufsstellen verkauft und deswegen markiert werden müssten.“ Das ist auch mit mehr Aufwand und Zeit verbunden, die er während seines eigentlichen Berufes nicht hat. Für heute ist seine Arbeit am Hühnermobil getan. Mit seinen zwei Mobilen verdient er mittlerweile fast mehr Geld als in seinem Hauptberuf. Es ist schon längst nicht mehr ein kleiner Nebenverdienst. „Früher wurde sich oft darüber lustig gemacht, dass ich Bauer werden möchte. Und jetzt habe ich mir schon so früh ein eigenes kleines Unternehmen aufgebaut“, erzählt er stolz. Was die Zukunft bringt, lässt er sich offen. Eins steht aber fest: Ein Bürojob wäre für ihn ein purer Albtraum. „Ich gehe nie zur Arbeit. Jeden Tag gehe ich von morgens bis abends meinem Hobby nach.“