Tizian Canizales nutzt jede freie Minute, um möglichst viel von der Welt zu sehen. Dabei geht es für ihn aber nicht raus in die Natur oder zu Sehenswürdigkeiten. Er klappert die Fußballstadien dieser Welt ab – manchmal sogar mehrere an einem Tag.
Von Dennis Zaremba
Samstag, kurz nach acht Uhr, Gelsenkirchen Hauptbahnhof. Es ist wenig los, ein paar verschlafene Gesichter schleichen den Bahnsteig entlang. Doch Tizian Canizales ist fit und voller Vorfreude. Wie so oft geht er seinem großen Hobby nach. Er möchte eine Weltreise der etwas anderen Art hinter sich bringen. Dafür nimmt der Student weite Wege auf sich.
Heute geht es nach Koblenz, einem Ort, der nicht unbedingt als erste Anlaufstelle für Weltreisende bekannt ist. Doch Tizian hat ein klares Ziel: das Stadion Oberwerth. Der FV Engers trifft im Finale des Rheinlandpokals auf den FC Blau-Weiß Karbach. Noch nie gehört? So dürfte es selbst einigen eingefleischten Fußballfans gehen. Es ist das Duell des Zehnten gegen den Fünften der Oberliga Rheinland-Pfalz/Sarr. Die Spielpaarung ist für Tizian an diesem Tag zweitrangig, wie er mir auf der knapp dreistündigen Zugfahrt erklärt.
Tizian ist ein sogenannter Groundhopper. Das Ziel des Groundhoppings ist es, möglichst viele Spiele in möglichst vielen Stadien zu sehen. Der Trend entstand in den 70er-Jahren, als eine Fußballzeitung eine spezielle Krawatte als Preis für alle ausrief, die jedes der 92 Stadien im englischen Profifußball besucht hatten. Aus dieser Idee reifte bis heute eine große Community, die mittlerweile auf der ganzen Welt Jagd nach möglichst schönen, legendären oder außergewöhnlichen „Grounds“, also Fußballplätzen, macht.
Sein bisheriges Highlight erlebte Tizian in Argentinien
Auf der Zugfahrt deutet allerdings wenig auf ein Fußballspiel hin. Keine Fans in Trikots ihrer Mannschaft, kein Gegröle, kein Biergeruch, der durch den Zug zieht. Große Stimmung deutet sich also nicht an. „Für mich gibt es drei Kriterien für ein erfolgreiches Spiel, von dem mindestens eins erfüllt sein sollte. Entweder das Spiel verspricht eine gute Qualität, also ein höherklassiges Spiel, das man sich gut anschauen kann, es ist einfach ein toller Ground, oder es ist eine besondere Stimmung zu erwarten“, erklärt Tizian. Wenn alles zusammenkommt, dann sei es der perfekte Tag. So geschehen unter anderem 2019. „Der Superclasico zwischen den Boca Juniors und River Plate in Argentinien war wohl das heftigste Spiel, das ich bis jetzt erlebt habe. Es war das Halbfinale der Copa Libertadores, also dem südamerikanischen Pendant zur Champions League“, erinnert sich der „Hopper“. „Es war eine wahnsinnige Stimmung im legendären La Bombonera. Boca hat 1:0 gewonnen, ist am Ende leider dennoch rausgeflogen. Aber allein dieser Prozess – es dauerte Wochen, um überhaupt an eine Karte zu kommen – und dieses Gefühl dann endlich in einem der schönsten Stadien der Welt bei einem der größten Spiele zu sein, das war schon wahnsinnig“, schwärmt Tizian noch heute von diesem Erlebnis.
Spätestens bei der Ankunft in Koblenz ist klar, ganz so denkwürdig wird es heute nicht. Tizian hat dennoch ein breites Lächeln im Gesicht, als er vor dem Stadion Oberwerth steht. Die Heimspielstätte der TuS Koblenz und des FC Rot-Weiss Koblenz wurde bereits 1935 eingeweiht. Zwar wurde es im Laufe der Jahre immer mal wieder renoviert, doch das Flair ist dabei erhalten geblieben.
Kurz vor dem Einlass zückt Tizian sein Smartphone. Seine Spiele hält er seit 2016 allesamt in einer speziell für Groundhopper designten App fest. „Dort kann ich kurz vor dem Anpfiff einchecken. So erkennt die App, dass ich vor Ort bin, und trägt das Spiel in meinen Statistiken ein“ Das Rheinlandpokalfinale ist für den Studenten das 426. Spiel im 212. Ground. In 14 verschiedenen Ländern, darunter unter anderem in Paraguay und den USA, hat er schon Spiele gesehen.
In Zukunft sollen noch viele weitere Länder bereist werden
Auch wenn die Partie nicht die großen Highlights liefert, bleibt es bis zum Ende spannend. Hin und wieder schweift Tizians Blick vom Spielgeschehen ab und einmal um das Stadion herum. Auf der einen Seite fahren die Autos über die Brücken der Stadtautobahn. Auf der anderen Seite schießt gleich hinter der Laufbahn und der Tribüne ein Berg in die Höhe. „Das ist schon eine sehr coole Lage“, freut sich Tizian. Somit ist das Spiel trotz weniger Highlights beim 1:0-Sieg des FV Engers ein echter Erfolg.
Nach der Partie geht es zurück nach Gelsenkirchen. Insgesamt ist Tizian also fast einen halben Tag unterwegs. Doch er hat auch schon deutlich längere Tage mit dem Groundhoppen verbracht. „Den verrücktesten Tag habe ich in Italien erlebt. Mit einem Freund bin ich mittags nach Genua gefahren und habe mir um 14 Uhr das Spiel des CFC Genua gegen Inter Mailand angeschaut. Direkt danach sind wir in den Zug gestiegen und saßen um 20:45 im legendären San Siro bei der Partie AC Mailand gegen AS Rom“, blickt er zurück. „Das war eine Kombi aus zwei sehr, sehr schönen Stadien und wir haben an einem Tag die beiden großen Mailänder Vereine gesehen.“ Sein großer Traum ist es, in jedem Land dieser Welt ein Fußballspiel gesehen zu haben. Doch auch in Deutschland gibt es für Tizian noch einiges zu erleben. Zufrieden, aber auch erschöpft steigt er in Gelsenkirchen aus der Bahn. Ein weiterer kleiner Punkt auf der großen Fußball-Weltkarte ist für ihn abgehakt.
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