Ihre blauen Westen stehen für Hoffnung, auch in den kältesten Winternächten. Wie die freiwilligen Helfer von „Warm durch die Nacht“ den Gelsenkirchenern Obdachlosen helfen – und das bedingungslos. 

Von Sven Richter

Der kalte Wind prägt diese Winternacht, die Menschen auf dem Gelsenkirchener Vorbahnhofsplatz eilen schnellen Schrittes nach Hause. Ins Warme. Niemand will stehen bleiben. Dennoch befindet sich hier, hinter einer riesigen Wand aus Metall, eine Anlaufstelle für Obdachlose. Der Treffpunkt ist für Außenstehende nur schwer zu finden. Petra Bec, erste Vorsitzende des Vereins, öffnet eine Tür in der haushohen Wand. Mit einem leisen Knarren offenbart sich ein Eingang, dahinter ein kleiner Fuhrplatz und die alten Bahnhofstoiletten.

Drinnen kommt es einem wärmer vor, doch das liegt nur an der Windstille. Schnell merken alle, die hier eintreten, dass auch hinter der Wand der Winter herrscht. Es riecht nach Kaffee, Gemüsesuppe und Brötchen. Ab halb sieben abends treffen sich hier die Helfer von „Warm durch die Nacht“, um die belegten Brote, das frische Obst und die warme Suppe vor der Wand aufzubauen. Es riecht nach Bananen, Mandarinen, Gemüsesuppe und Kaffee. Insgesamt haben sie eineinhalb Stunden, bis die ersten Obdachlosen mit Essen versorgt werden. Bereits seit acht Jahren verteilt der Verein dreimal die Woche Essen, einmal die Woche verteilen die Helfer Kleidung und Hygieneartikel. „Hier in Bahnhofsnähe halten sich viele Obdachlose auf, der Ort ist gut zu erreichen“, erklärt Petra Bec.

Den Hunger bekämpfen – trotz aller Umstände

Von den ursprünglichen Bahnhofstoiletten ist nichts mehr übrig. Im breiten Flur stehen Bollerwagen, bestückt mit zahlreichen Thermoskannen und Kisten voll mit Essen. Im ersten Raum links ist eine kleine Suppenküche, weiterhinten die Speisekammer. Hier reihen sich vom Boden bis zur Decke Konservendosen, doch auch einige Weihnachtsgeschenke stehen hier. Der Kaffee und Suppenduft ist im ganzen Gebäude präsent. Petra Bec führt weiter durch die verschlungenen Räume. Im hinteren Bereich der ehemaligen Toiletten sind nun mehrere Kleiderkammern. „Früher war hier ein Schalker Fanclub, jetzt dürfen wir die Räume von Seiten der Stadt ausnutzen“, so Bec.

Die Speisekammer ist immer gut gefüllt – in der Vorweihnachtszeit auch mit Geschenken. Foto: Sven Richter

„Viele Meckern immer gerne und sagen, dass die Stadt nichts für die Menschen tun würde. Aber das stimmt nicht! Die Stadt tut sehr wohl etwas für die Menschen, nur wird es nicht jeden Tag im Internet gepostet“, sagt Petra Bec. Was einst als Bürgerinitiative anfing, ist heute ein Verein mit mehr als 40 Helfern. Hier bekommt jeder Hilfe: „Uns ist egal, ob mal einer bekifft oder betrunken ist. Wer Hunger hat, hat halt Hunger und bekommt etwas zu essen!“

Ins Gespräch kommen bei der Essensausgabe

Ein lokaler Bäcker hat mehrere Beutel voller Brot und Brötchen gespendet, nun werden sie in einzelne Pakete abgepackt. Hier erklärt Petra Bec den Grundsatz des Vereins: Einfach machen! „Selbst wenn jemand traurig und niedergeschlagen zu dir kommt, weil er die siebte Entgiftung nicht geschafft hat, man darf die Menschen nicht verurteilen“, weiß Bec, „Man nimmt sie in den Arm und sagt: Dann machst du halt eine achte!“

Circa zwanzig Minuten vor Ausgabe sind die Vorbereitungen abgeschlossen. Zeit für eine kurze Pause. Doch die Auszeit währt nicht lang. Wegen der Kälte öffnet der Verein heute früher die Ausgabe. Auf drei Tischen, sicher hinter Spuckschutze verstaut, reihen sich hier Brote, süße Teigwaren und warme Suppe. Auf dem Boden stehen Pakete mit Stutenkerlen und Obst. Heute sind rund 60 Obdachlose anwesend. Die Stutenkerle sind etwas Besonderes, es dauert nicht lange, bis sie alle weg sind. Auch Obst wird gerne mitgenommen, besonders die Bananen. „Wegen den Zähnen“, erklärt ein Kunde. Am meisten staut sich die Schlange bei den süßen Teigwaren. Alle können sich ihr Lieblingsgebäck aussuchen, das dauert ein wenig. Die meisten haben ihre eigenen Beutel dabei und tragen Wintersachen. „Die Schuhe, die ich von euch habe, sind fast durch. Bekomme ich dann neue?“, fragt ein Kunde. Nach der Essensausgabe bekommt er Schuhe, Socken, eine Wintermütze und Handschuhe. Über die Handschuhe freut er sich besonders. Jeder findet hier ein offenes Ohr. Nach circa 40 Minuten ist es vorbei. Für heute ist die Arbeit erledigt, doch in einigen Tagen geht für die Helfer von „Warm durch die Nacht“ alles wieder von vorne los.

Der größte Andrang ist vorbei, eine weitere Nacht wurde ausreichend Essen verteilt. Foto: Sven Richter