Galeria Karstadt Kaufhof steckt in einer schweren Krise. Ende Oktober hat der Warenhauskonzern erneut ein Schutzschirmverfahren beantragt – zum zweiten Mal innerhalb von weniger als zwei Jahren. Darüber hinaus sollen von den verbliebenen 131 Warenhäusern mehr als 40 geschlossen werden. Welche Filialen davon betroffen sein werden, soll im Januar 2023 entschieden werden. Bis dahin steht auch die Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof in Gelsenkirchen auf dem Spiel. Das löst große Sorge bei Verkäuferin Anja Sabrowski (52) aus, die bereits seit 30 Jahren in der Filiale beschäftigt ist.
Ein Interview von Charlotte Schuster
Wie ist derzeit die Stimmung unter deinen Kollegen?
Die Stimmung ist schlecht, weil wir viel zu wenig Personal für viel zu große Flächen haben. Dazu kommt die Unsicherheit. Eine Verkäuferin bekommt nicht viel Geld, trotz Tariflohn. Die meisten Menschen, die bei uns arbeiten, stehen ganz allein für ihren Lebensunterhalt da. Das ist schon eine sehr bedrückende Geschichte, wenn man überhaupt nicht weiß, wie es weitergeht. Da kann man sich vielleicht vorstellen, wie die Gedanken kreisen.
Galeria Karstadt Kaufhof strebt erneut die Rettung in einem Schutzschirmverfahren an – was läuft da ihrer Meinung nach falsch?
Die letzte Insolvenz ist noch nicht lange her. Karstadt hat mittlerweile fünf Insolvenzen hinter sich. Mich hat es vor zwei Jahren eiskalt getroffen – da habe ich die erste Insolvenz mitgemacht.
Dann gab es den Ukraine-Krieg. In China wurden Dinge produziert, die nicht geliefert werden konnten. Die gleichen Probleme hatten andere Unternehmen auch. Ich glaube aber, dass unser Unternehmen den Zug im digitalen Wesen oft hat abfahren lassen. Denn in vielen Bereichen, wo wir WLAN bräuchten, wurde ständig nachgearbeitet. All diese Dinge zusammen haben dann das Ergebnis gebracht, dass wir tatsächlich schon wieder in der Insolvenz sind.
Wie erhalten du und deine Kollegen die neuesten Informationen zum Verfahren?
Wir haben Gott sei Dank einen Gesamtbetriebsrat, der wöchentlich mit Informationsblättern informiert. Dann haben wir die Vereinte Dienstleistungsgesellschaft (ver.di). Ich bin in der Bundestarifkommission, wo wir auch im engen Austausch mit dem Arbeitgeber sind. Über diese Geschichte erhalten wir dann die Informationen – aber oft nicht zeitnah und nicht schnell genug.
Lässt dadurch die Motivation bei der Arbeit nach?
Es schwankt sehr. Es gibt Tage, an denen man eine Schüppe drauf legt – in der Hoffnung, dass der Laden so gerettet wird. Dann kommt aber auch wieder eine totale Resignation, während der man denkt: „Warum sollte bei der Welle an Schließungsfilialen ausgerechnet unsere Filiale bestehen bleiben? Wofür mache ich das alles eigentlich noch?”. Wenn die Kollegen früher erkrankt waren, mit dem Kopf unterm Arm gekommen sind, ist die Bereitschaft, sich jetzt einen Krankenschein zu nehmen, deutlich höher als es das vorher war.
Neben der Unsicherheit und der geringeren Motivation: Welche Nachteile entstehen euch während des Schutzschirmverfahrens?
Zum Beispiel zahlt man während einer Insolvenz nicht die Rentenkasse ein. Dann heißt es immer: „Da muss man Vorsorge treffen!”. Mit einem abgesenkten Tarifvertrag im Einzelhandel kann man kaum private Vorsorge betreiben, weil das Geld dafür überhaupt nicht reicht. So kommen Leute, die ihr Leben Vollzeit gearbeitet haben, dann in eine Altersarmut. Da muss eine ganze Gesellschaft hinter stehen, dass das nicht passiert.
Insbesondere Rene Benko, der Eigentümer von Galeria Karstadt Kaufhof steht in der Kritik. Wie hat er das Unternehmen in der Vergangenheit geführt?
Herr Benko hat sich mehr um die Immobilien gekümmert. Er hat das Warenhaus nicht wirklich geführt. Dafür hat er Geschäftsführer eingesetzt. Herr Benko hat aber eine soziale Verantwortung den Menschen gegenüber, dessen Oberchef er ist.
Was erwartest du jetzt von ihm?
Wir erwarten von Herrn Benko, dass er mit einer Geldanlage so viele Läden wie möglich rettet. Herr Benko hat durch Immobiliengeschäfte und Mieten genug an uns verdient, sodass er jetzt auch etwas zurückfließen lassen kann.
Welche Verbesserungsvorschläge würdet ihr denn Rene Benko unterbreiten, um Galeria Karstadt Kaufhof in Gelsenkirchen zu retten?
Wir müssen schneller und flexibler werden. Wir dürfen uns dem digitalen Zeitalter nicht versperren. Wir brauchen Personal. Es gibt eine Stellschraube, die das Personal nach dem Umsatz berechnet. Irgendwann kippt dieses System aber. Dann ist es nicht mehr aufzuhalten, weil Bedienungen an Stellen fehlen, an denen man eigentlich sehr viel Geld verdienen könnte. Weil aber vorher der Umsatz nicht entsprechend gekommen ist, hat man sich dieses Personal eingespart. So kriegt man nie wieder die Wende nach vorne hin.
Ist ein Überleben des Gelsenkirchener Warenhauses überhaupt realistisch?
Wir sind das einzige große Warenhaus, das es in Gelsenkirchen überhaupt noch gibt. Die Kaufkraft in Gelsenkirchen ist allerdings nicht sehr hoch – das gehört zur Wahrheit dazu. Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Wie geht es jetzt in den nächsten Wochen für die Filiale in Gelsenkirchen weiter?
Wir versuchen, ein ordentliches Weihnachtsgeschäft abzulegen. Irgendwann wird dann die Liste veröffentlicht, welche Häuser geschlossen werden. Dann hoffen wir, dass wir das auf eine sozialverträgliche Art und Weise erfahren.
Und wenn Gelsenkirchen geschlossen wird, was machst du dann?
Erstmal weinen, weil 30 Jahre gehen einem nicht einfach so am Allerwertesten vorbei. Da hat man freundschaftliche Begegnungen zu Kunden und zu Kollegen sowieso. Man kennt so ein Haus wie seine Westentasche. Ich kann mir gar kein Leben mehr ohne Galeria vorstellen. Ich weiß es einfach nicht. Für mich wird es eine ganz harte Geschichte werden.
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