Der Kiosk „Manni Bieber“ in Gladbeck gehört zu einer aussterbenden Verkaufsform. Und: Er gehört seit 2020 sogar zum immateriellen Kulturerbe des Landes NRW. Manfred Bieber spricht als Zeitzeuge, der seit 47 Jahren jeden Tag mit Menschen an seiner Bude in Kontakt kommt, über die rückläufigen Zeitungsauflagen und veränderte Kommunikation.

Von Annika Wascher und Frederik Pourier

Gladbeck-Zweckel. Zechenhaus reiht sich hier an Zechenhaus. Neben der Metzgerei und dem Bäcker vor Ort steht auf der Ecke der Beethovenstraße die wohl größte Institution des Stadtteils: Der Kiosk „Manni Bieber“. Über der Trinkhalle ragt ein großes weißes Schild. In dicken hellblauen Lettern heißt es hier: „Manni’s Bude seit 1977“. So lange ist der „Bieber“ schon hinter dem Tresen seines acht Quadratmeter großen Reiches. Besser gesagt, er lehnt angewinkelt mit beiden Armen über dem Verkaufsfenster. „Meine Frau sagt immer, die Ärmel gehen kaputt“, scherzt er. An seiner typischen Haltung seit nun mehr 47 Jahren wird sie nichts mehr ausrichten können.

Der Kiosk von Manni Bieber, den er seit 1977 betreibt. Foto: Annika Wascher

Am frostigen Dienstagmorgen beginnt für Manni Anfang Januar die Arbeitswoche. Montags ist Ruhetag. „Ich muss ja auch mal einkaufen gehen und ich muss ich ja samstags und sonntags auch arbeiten.“ Immer von halb acht morgens bis um 20 Uhr abends steht der 72-Jährige in seinem Kiosk, mit Ausnahme seiner zweistündigen Mittagspause von eins bis drei. Am häufigsten verkauft er Tabakwaren. Das sah aber mal anders aus. 

Die Konkurrenz für Trinkhallen ist immer größer geworden

Früher hat Manni alles Mögliche verkauft. „Aber heute gibt es an Tankstellen alles zu kaufen.“ Die Lebensmittelläden hätten zusätzlich auch mittlerweile bis 22 Uhr geöffnet. Als Ladenschlusszeit noch um 18.30 Uhr war, erinnert er sich, waren die Trinkhallen die einzige Option, auch zu Abendstunden noch Zigaretten oder ein Bier zu erwerben. „Moin Pedro“ ruft Manni plötzlich zum Gassi-Gänger auf der anderen Straßenseite. Er kennt alle. Und ist mit jedem direkt per Du.

„Wer liest denn noch? Keiner mehr.“

Seit Jahren beobachtet der Kioskverkäufer den Auflagenrückgang der Zeitungen. Dazu sagt er: „Wer liest denn noch? Keiner mehr. Meine Spitzenverkäufe von Bild-Zeitungen waren um die 60,70 Stück jeden Tag.“ Jetzt sind es gerade mal noch 20. Und bei Deutschlands bekanntester Zeitung geht es erst los. „Vom Stern angefangen, über den Spiegel, habe ich alles Mögliche gehabt. Selbst Börsenzeitschriften hatte ich zehn verschiedene Sorten.“  Heute steht von all dem nichts mehr bei Manni im Regal. Einfach, weil niemand mehr danach fragt.  

Wie das Handydie Kommunikation verändert

Seit die Menschen mehr und mehr Online unterwegs sind merkt der Gladbecker eine immer größer werdende Lesefaulheit. Damit nicht genug: „Auch unterhalten ist nicht mehr so gefragt wie früher, sich menschlich zu artikulieren. Alles geht übers Handy. Ich sehe das auch bei den Jugendlichen, die stehen nebeneinander und schreiben sich lieber.“ Dann wird er deutlich: „Reden wird auch immer weniger.“

„Hier trifft sich alles“

Dabei geht es an Mannis Bude, genauso wie an den anderen verbliebenen Trinkhallen in NRW, die seit 2020 gar zum immateriellen Kulturerbe des Landes gehören, genau darum. Sich auszutauschen, Sorgen loszuwerden. „Hier trifft sich alles“, weiß Manni. Vom Land NRW heißt es dazu: „Trinkhallen mit bewährtem Sortiment bilden für ihre Stammkundschaft eine Plattform für den Austausch und die Integration insbesondere in urbanen Milieus.“ Über die Jahrzehnte hat der Kioskbetreiber gelernt, die Menschen zu lesen. „Ich sehe den Leuten im Gesicht an, ob einer was loswerden will.“ Der 72-Jährige geht dann ganz direkt auf seine Kunden zu: „Da fragt man eben: Was ist los, was haste heute? Ja, und dann erzählen sie dies und das und dann hört man zu.“

Das sagt Manni zur Ernennung der Trinkhallen zum immateriellen Kulturerbe in NRW

Wie lange will der „Bieber“ noch Seelsorger und Verkäufer sein? „Solange wie ich lebe“, lautet die knappe Antwort. „In Rente gehen“, das kommt für Manni nicht in Frage: „Als Rentner, was ist man dann? Ein alter Mann, der zuhause sitzt und Fernsehen guckt? Um Gottes Willen, da bin ich gar nicht für geboren.“ Wofür er geboren ist, dass wird jedem klar, der einmal an dem Eckkiosk von Manni mit „Moin“ begrüßt wird.