Aus ungenießbarem Bier brennt Pubbesitzer Nathaniel Stott Bierbrand und schafft somit einen einmaligen Geschmack. Mit größter Sorgfalt geht er seiner Leidenschaft nach.
Von Ronja Rohen
Der Stollen, der einer Hagener Destillerie als Lager dient, ist nur spärlich beleuchtet mit einigen Lampen. Am Eingang steht alles unter Wasser, als der englische Pubbesitzer Nathaniel Stott gemeinsam mit einem Mitarbeiter der Destillerie den Stollen betritt. Das erste Stück waten die beiden mit Gummistiefeln durch das knöcheltiefe Wasser. In den vergangenen Tagen hat es viel geregnet, sodass der Stollen, der noch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammt, im vorderen Teil voll mit Wasser gelaufen ist. Hier unten ist es sehr feucht und angenehm kühl. Es riecht unter der Erde nicht muffig, ganz im Gegenteil, die hohe Luftfeuchtigkeit schafft ein angenehmes Raumklima. An den Wänden laufen kleine Wassertropfen hinab, insgesamt erinnert der dunkle Stollen stark an eine Actionfilmszenerie. Nathaniel Stott, der gebürtig aus Bristol stammt, hat hier unten seine Fässer mit Bierbrand gelagert. Seit über zehn Jahren arbeitet der Engländer in der Gastronomie und seit sechs Jahren betreibt er den englischen Pub „Shakespeare Pub“ in der Fußgängerzone in Herdecke.
Lockdown 2021 – eine Idee wird geboren
Stott betritt den Hauptraum des Stollens, von dem immer wieder kleine Gänge abgehen, die alle nicht beleuchtet sind. Vor, neben und hinter ihm lagern über 100 Holzfässer mit hochprozentigem Alkohol. Ihre Oberflächen fühlen sich rau an. Zwei von den kleineren Fässern gehören Stott und sind gefüllt mit Bierbrand, die anderen gehören der Hagener Destillerie. Mit seinem Handylicht leuchtet der die Fässer an, um sie von außen zu kontrollieren. Während er immer wieder mit dem Licht die Fässer beleuchtet, erzählt er wie er auf die Idee gekommen ist Bierbrand herzustellen. „Während der Corona Lockdowns hatten wir das Problem, dass unsere Lebensmittel und vor allem unser Bier im Keller schlecht wurde“, erzählt der Pubbesitzer. So ging es vielen Gastronomen zu der Zeit, viele waren gezwungen ihr Bier wegzuwerfen. „Ich hatte keine Lust mehr, wieder das ganze Bier wegzukippen und habe mir dann eine Alternative überlegt und die hieß Bierbrand“, so der Bierliebhaber.
Er spricht leise, trotzdem ist sein britischer Akzent auch nach 30 Jahren in Deutschland deutlich zu hören. Währenddessen überprüft er den Stopfen, der das Fass verschließt, indem er auch dieses mit seinem Handylicht anleuchtet. Einwandfrei stellt er fest. Die Fässer liegen bereits eine Weile hier unten, denn der Bierbrand hat zweieinhalb Jahre im Stollen gelagert, bevor er abgefüllt worden ist. Nun sind die Fässer bereits mit neuem Bierbrand aus dem zweiten Versuch befüllt.
Unterstützerin Nourney leistet Starthilfe
Der Kneipeninhaber verlässt den Stollen gemeinsam mit dem Destillerie Mitarbeiter, denn er hat in der Hagener Brennerei die rund 300 Meter entfernt vom Stollen – oberhalb auf einem Anstieg – liegt, eine Verabredung mit Julia Nourney. Sie ist eine gute Bekannte von ihm und Fassmanagerin, das heißt sie berät Brauereien welche Alkoholsorten sie am besten in welchen Fässern lagern und überprüft deren Qualität. Außerdem ist sie mehrfach ausgezeichnet. Jüngst 2023 erhielt sie den Preis für den besten irischen Whiskey.
Auf dem Weg nach oben erzählt Stott, dass er selbst Zweifel an seinem Vorhaben hatte und dass sie es war, die den letzten Anstoß gab und ihn zu seinem Bierbrandprojekt ermutigte. „Ihr Rat war, ist egal misch alles zusammen, das wird schon gut werden. Und da dachte ich ja gut, dann räume ich meinen Keller auf“, erzählt Stott mit einem Lächeln im Gesicht.
Auf ihren Rat hin hat er mit 600 Litern Bier aus seinem eigenen Keller und nochmal 1400 Litern einer Brauerei aus der Umgebung seinen ersten Bierbrandversuch gestartet. Aus den 2000 Litern und 50 verschiedenen Sorten Bier wurden ungefähr 90 Liter Bierbrand hergestellt mit einem Alkoholgehalt von 90 Prozent.
Zweimal brennen, einmal Bierbrand
Bevor er die Destillerie betritt, muss der Gastronom noch schnell zu seinem Auto, um sein Fass mit Bierbrand zu holen, den er verdünnen möchte. Als er die Tür der Brennerei mit seiner Schulter aufstößt, ist Julia Nourney schon da. Sie sitzt mitten im Raum an einem langen Holztisch und tippt auf ihrem Computer. Neben ihr stehen kleine Flaschen gefüllt mit einer sehr hellen Flüssigkeit. Es ist Stotts Bierbrand, den sie auf seine Qualität und Eigenschaften geprüft hat. Als sie den gebürtigen Engländer sieht, lächelt sie und die beiden nehmen sich freundschaftlich in den Arm.
In der Brennerei riecht es nach einer Mischung aus hochprozentigem Alkohol und Malz, angenehm süßlich und nicht erschlagend. An der Wand steht der Brennofen. Mit vielen Rohren und seiner besonderen Form ist der bronzefarbene Ofen sehr präsent im Raum. Darin ist auch Stotts Bierbrand zweimal gebrannt worden, bevor er ihn in eine Flasche und in zwei von der Lagerung an feuchten Orten leicht abgenutzte Fässer umfüllte.
Letzter Schliff für Stotts Bierbrand
Ein weiterer Destillerie Mitarbeiter bringt dem gebürtigen Engländer und der Whisky Expertin gefiltertes Wasser, damit sie den Bierbrand verdünnen können, sodass er genießbar wird. Aktuell hat er nach der Lagerung noch einen Alkoholgehalt von 62 Prozent. Ganz vorsichtig gießt Julia Nourney das Wasser in das 10 Liter Bierbrandfass. Ihre Stirn legt sich in Falten, als sie Tropfen für Tropfen in das Fass gibt, um nicht zu viel Wasser hineinzuschütten. „Mehr rein füllen geht immer, wenn es aber zu viel Wasser ist dann haben wir ein Problem“, so Nourney. Nathaniel Stott steht gelassen neben ihr während Julia Nourney immer wieder die Spitze des Messgerätes im Fass verschwinden lässt, um den Alkoholgehalt zu überprüfen. Gespannt schauen beide auf die Anzeigetafel des Messgeräts, ob die Prozentzahl passt. Immer wieder wiederholen sie diesen Prozess und blicken gespannt auf die Anzeigetafel. Bis die Fassexpertin sagt: „So jetzt passt es.“ Der Bierbrand hat nun einen Alkoholgehalt von 55 Prozent.
Nathaniel riecht am offenen Fass: Zuerst nimmt er den Geruch von Alkohol mit einer rauchigen Note wahr, gleichzeitig riecht der Bierbrand auch fruchtig und ganz leicht nach Karamell. Mit einer herzlichen Umarmung verabschiedet sich der Bierliebhaber von Julia Nourney und macht sich auf den Weg zu seiner Kneipe.
„Jedes Fass ein Unikat“
Er ist bereits spät dran. Immer wieder schaut er auf die Uhr seines Handys. Gleich muss er schon hinter der Theke seines englischen Pubs dem „Shakespeare Pub“ stehen und seine Gäste bewirten. Im Auto auf dem Weg zu seinem Pub in Herdecke erzählt Nathaniel Stott stolz: „Jedes Fass ist ein Unikat.“ Denn allein die Zusammenstellung der Biere ist einzigartig, aber auch die Reifung in den verschiedenen Fässern verleihen dem Bierbrand seine persönliche Note. „Bierbrand ist in Deutschland noch sehr unbekannt, aber wenn die Leute sich drauf einlassen, schmeckt es den meisten sehr gut“, so der Inhaber. Nichts, was man einfach auf einen Zug runterkippt, sondern was man genießen sollte.
Im Wohnzimmer von Nathaniel Stott
Während er über seinen Bierbrand ins Schwärmen kommt, fängt er an über das ganze Gesicht zu strahlen und man sieht ihm an, dass sein Bierbrand ihm am Herzen liegt. Als Stott seinen noch leeren Pub betritt fühlt man sich gleich wie in seinem Wohnzimmer. Dank der persönlichen Gegenstände, wie alte Bücher, gemalte Bilder an den Wänden, Gesellschaftsspielen auf den Tischen und dem Quietscheentchen auf der Theke, das optisch an Queen Elisabeth erinnert, hat man eher das Gefühl, man sitze bei Stott auf der Couch als in seinem Pub. Vorsichtig nimmt er das Fass mit Bierbrand, das bis eben noch in dem Karton unter seinem Arm befand und stellt es in ein Regal aus Holz hinter der Theke. Für Bierbrand ist heute Abend gesorgt, es kann also losgehen.
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