Bildunterschrift: Die katholische Kirche sieht sich seit 2019 mit einer hohen Austrittswelle konfrontiert. (Quelle: Pixabay)

Rund ein Fünftel der Deutschen besuchen an Weihnachten die Kirche. Auch Birgit war 51 Jahre lang Mitgliedder katholischen Kirche. Wie knapp eine halbe Million anderer Menschen in Deutschland, entschied sie sich im Jahre 2022 die Kirche zu verlassen.

Ein Bericht von Adrian Masi

Birgit ist 53 Jahre alt und kommt aus Bochum, ihren Nachnamen wollte sie nicht angeben. In ihrer Kindheit besuchte sieeine katholische Mädchenrealschule. „Als Jugendliche nahm ich an den Gruppenstunden teil und leitete sogar eine Gruppe der Katholischen Jungen Gemeinde. Der regelmäßige Besuch der Gottesdienste, gehörte auch dazu“, so Birgit.  Auch für sie waren die Missbrauchsvorwürfe ein Faktor. „Vor allem, wie man damit umging, die Verzögerungen und Heimlichtuereien und die Art und Weise gegenüber den Opfern.“

Vertrauensverlust

Innerhalb der letzten fünf Jahre treten überdurchschnittlich viele Menschen aus der katholischen Kirche aus. 2022 gilt als Rekordjahr für Austritte: Ungefähr 520.000 Menschen haben die Kirche verlassen. Im Jahre 2023 sind die Kirchenaustritte mit 402.000 Austritten zwar leicht zurückgegangen, trotzdem bleiben sie insgesamt betrachtet hoch.

Die Gründe dafür sind vielseitig, sie reichen von einem fehlendem Glauben an Gott, dem fragwürdigen Umgang mit Kirchengeldern bis hin zu den vermehrten Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche. 

Versäumte Aufarbeitung

Erst im Jahre 2018 erscheint die Mannheim-Heidelberg-Gießen-Studie, eine kircheninterne Missbrauchsstudie. Einigen Kirchenmitgliedern war das zu spät, meint Dr. Katharina Neef. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Religionswissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig. „Die Reaktion der Kirche wurde von der Gesellschaft als zu gering und zu wenig konsequent empfunden, was zu einer moralischen Empörung führte“, so Neef. Im selben Jahr beobachtet man noch eine weitere Erhöhung an Kirchenaustritten.

Umgang mit Austritten

Der Trend der vermehrten Austritte ist den Kirchen längst aufgefallen. „Natürlich setzen wir als katholische Kirche im Bistum Münster uns mit der Entwicklung auseinander. Unsere Konsequenz darauf sind Überlegungen, was wir tun können, um als vertrauenswürdig wahrgenommen zu werden“, so Anke Lucht, stellvertretende Pressesprecherin des Bistums Münster. Viele Menschen empfänden heutzutage nicht nur die Kirche kritisch, sondern der Glauben spiele in ihrem Leben auch keine Rolle mehr, so Lucht.

Glaubenswandel?

Ob der Glaube tatsächlich in der Gesellschaft schwächer geworden ist, sei eine schwierige Frage, so Katharina Neef. Sie spricht lieber von einem Glaubenswandel. „Man kann in kleineren religiösen Gemeinschaften, wie bei den Zeugen Jehovas oder den Mormonen tatsächlich einen konstanten Zulauf von Mitgliedern beobachten.“ Hier werde, anders als bei den großen Kirchen, die Gemeindebindung stärker gepflegt, so Neef. Sie sieht eher strukturelle Gründe seitens der katholischen Kirche, wie das veraltete Frauenbild, die hinter den vermehrten Kirchenaustritten stehen, als einem mangelndem Glauben in der Gesellschaft.

„In der katholischen Kirche werden getaufte Kinder von Kirchenmitgliedern automatisch als Kirchenmitglieder selbst eingetragen“, so Neef. Einerseits sei das gut, weil die Kirche so mehr Mitglieder bekommt. Andererseits denken heute viele Menschen mehr über ihre Mitgliedschaften nach. Dabei merken einige, dass sie keine aktive Verbindung zur Kirche mehr haben und deshalb austreten, was zu den vermehrten Kirchenaustritten beiträgt. „Seit meiner Geburt bin ich durch die Taufe Mitglied gewesen“, so Birgit. Wirklich befassen mit der Entscheidung, konnte sie sich gar nicht. 

Ob die Kirche in der Zukunft es schaffen wird, wieder das Vertrauen der breiten Gesellschaft zu gewinnen, scheint unwahrscheinlich. Innerhalb der Kirche geht man von einem weiteren Sinken der Mitgliedszahlen aus.