Viele Menschen leiden psychisch unter den Folgen der Corona-Pandemie. Manche von ihnen entwickeln sogar Depressionen. Doch wer Hilfe sucht, muss in der Regel mit langen Wartezeiten rechnen. Was sind Depressionen und was können Betroffene tun?

Von Christina Rüsing

„Vor zwei Monaten war ich wieder an dem Punkt, wo ich mir einfach Hilfe suchen musste. Da könnte mein Studium sonst drunter leiden“, berichtet Marie, die eigentlich anders heißt. Die Psychologie-Studentin hat schon seit ihrer Kindheit mit Depressionen zu kämpfen. „Meine Kindheit war ziemlich traumatisch und von Gewalt geprägt“, erklärt sie. Bei ihrer aktuellen Suche nach einem Therapeuten, wurde sie mit langen Wartezeiten bis hin zu Absagen konfrontiert: „Ich habe mit fünf, sechs Psychologen Kontakt aufgenommen, war auch bei Erstgesprächen. Jedoch haben sie teilweise abgelehnt oder mich auf eine Liste mit um die anderthalb Jahre Wartezeit gesetzt.“

„Ich habe mich selbst gar nicht mehr wahrgenommen“

„Ich habe einen sehr bunten Lebenslauf, ein vorheriges Studium und eine Ausbildung abgebrochen – weil es mir teilweise so schlecht ging, dass ich nicht aus dem Bett kam.“ Die Studentin leidet immer wieder unter depressiven Phasen, die von innerer Leere und Hoffnungslosigkeit geprägt sind. „Ich habe mich selbst gar nicht mehr wahrgenommen, in den schlimmsten Episoden. Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben, lösten gar nichts mehr in mir aus.“ Marie habe in solchen Phasen auch starke Schuldgefühle und würde sich als Last empfinden. „Mittlerweile gibt es aber kaum noch Episoden, wo ich mein Bett nicht verlassen kann.“ Sie hat erst im vergangenen Jahr ihr Psychologie-Studium aufgenommen und sich daher frühzeitig Hilfe suchen wollen. „Ich habe in einer neuen Stadt angefangen, alles ist online, da wollte ich mir schon präventiv Hilfe suchen, weil ich unter der Isolation litt.“

Was sind Depressionen?

Jedes Jahr erkranken in Deutschland circa fünf Millionen Menschen an Depressionen. Dabei sind Frauen etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Bei der Diagnose wird in wiederkehrenden oder einmaligen depressiven Episoden unterschieden. Depressionen kennzeichnen sich unter anderem durch eine dauerhaft gedrückte Stimmung, innerer Leere und Interessenlosigkeit. Die Symptome sind vielfältig und können auch mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen einhergehen.

In schweren Fällen können Psychotherapeuten oder Ärzte einen Überweisungsschein mit Vermittlungscode ausstellen. Damit können Betroffene dann bei der Terminvergabestelle der Kassenärztlichen Vereinigung anrufen. Das geht rund um die Uhr. Unter Angabe des Codes steht Erkrankten normalerweise innerhalb von vier Wochen ein Termin zu. Auch das hat Marie versucht.

„Ich fühlte mich im Stich gelassen und beschloss, meinen eigenen Weg zu gehen“

„Ich rief dort an, aber mir wurde dann auch hier die letzte Hoffnung genommen und gesagt, dass keine Therapieplätze frei sind. Ich fühlte mich im Stich gelassen und beschloss, meinen eigenen Weg zu gehen.“ Die Studentin habe schon öfter in ihrem Leben Situationen erlebt, in denen sie auf sich allein gestellt gewesen war. „Ich habe Skills, die mir helfen“. Unter Skills versteht man verschiedene Fertigkeiten, die Erkrankte ablenken sollen, anstatt sich selbstschädigend zu verhalten. Marie hilft es, in schweren Momenten, bewusst zu atmen oder ein Bad zu nehmen, um ihren Körper wieder zu spüren. Auch Sport ist sehr hilfreich, da er eine stimmungsaufhellende Wirkung hat.

„Im Sommer kamen viel mehr Leute in die Praxis als sonst“

Michael Helfer ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Gelsenkirchen-Resse. Er erklärt sich die langen Wartezeiten unter anderem durch einen Mangel an Therapeuten: „Das Ruhrgebiet war bis vor wenigen Jahren eine Sonderversorgungszone, dadurch gab es von der Quote her weniger Psychotherapeuten als in anderen Regionen.“ Noch immer sei das Angebot im Ruhrgebiet geringer. Gleichzeitig konnte Helfer dieses Jahr auch einen Effekt durch Corona feststellen. „Im Sommer kamen viel mehr Leute als sonst in die Praxis.“ Tatsächlich zeigen Studien einen Anstieg von Depressionen um siebzehn Prozent seit Beginn der Pandemie. Dadurch soll nur noch jeder Fünfte an einen Therapieplatz kommen.

Aktivitätenlisten gegen das Grübeln

Viele von Helfers Patienten sind durch die Pandemie in Kurzarbeit geraten und wüssten nichts mit der Zeit anzufangen: „Die Leute kommen ins Grübeln und in die Passivität – so entstehen Depressionen.“ Auch Faktoren wie Einsamkeit spielen eine Rolle. „Man darf sich nicht der Passivität hingeben, das ist der Schlüssel gegen Depressionen. Dabei hilft es, Aktivitätenlisten zu erstellen.“ Diese Listen sollen Erkrankten helfen, ihren Tag zu strukturieren und beschäftigt zu bleiben. Es werden beispielsweise Aktivitäten wie Spazieren gehen oder Sport aufgezählt, die in den Tag eingeplant werden sollen.

„Versucht euch nicht mit anderen zu vergleichen“

Trotz ihrer Schwierigkeiten möchte Marie allen Betroffenen Mut machen: „Versucht euch Ziele zu setzen, seien sie auch noch so kleinschrittig. Versucht euch nicht mit anderen zu vergleichen und hinterfragt eure Selbstzweifel.“