Die Schallplatte ist ein Relikt der Vergangenheit. Heutzutageermöglichen Streaming-Diensteüberall unkomplizierten Musikkonsum. Trotzdem gibtes Musikläden, die weiterhinauf Vinyl setzen. Und wer die Welt der Schallplatte betritt, der versteht warum.
von Amelie Lorenz
Wer das „33 1/3 Schallplatten“ besucht, der fühlt sich wie in Charlies berühmter Schokoladenfabrik – zumindest als Musikfan. Schallplatten in Regalen, in schweren Holzkisten, in Plastik- und Pappkartons auf dem Boden, gerahmt oder in Plastikfolie an der Wand oder in Bauch, Knie- oder Fußhöhe aneinandergereiht. Plattencover von Miles Davis, Bob Dylan oder von den toten Hosen hängen an den Wänden. Unzählige, etwa 31cm große, flache Pappquadrate stehen in fast jeder Ecke des Geschäfts.
„Die Leute, die den Laden betreten, sind extrem dankbar, auch weil unser Sortiment den Fokus auf die Musik ihrer eigenen Jugend legt – 60er, 70er, 80er Jahre.“ Frank „Zepp“ Oberpichler hat im Januar 2021 den Schallplattenladen in Duisburg Duissern übernommen. Vorher war er bereits langjähriger Kunde – seit den 80er Jahren. Nun ist er seit etwa 17 Monaten Inhaber. Das bedeutet an einem normalen Arbeitstag unter anderem: Kundenfragen beantworten, kassieren, Platten verräumen, zwischendrin auch mal ein Plausch mit Kunden, Lieferbarkeiten und Platten-Infos checken – es ist einiges zu tun.
Auch neu angekaufte Vinyl-Platten begutachten und preislich einschätzen gehört zu seinen Aufgaben. Dazu fischt Oberpichler mit geübten Händen das Vinyl vorsichtig aus Papp-Cover und Pergamenthülle, dreht die Platte behutsam im Licht, verändert den Blickwinkel mehrmals, kontrolliert, inspiziert. Das schwarze Vinyl schimmert leicht. Danach verschwindet die Platte der Rolling Stones – der „Stone Age“-Sampler – wieder in der Covertasche. Er ist zufrieden. Weiter zur nächsten Platte. Punkrock-Gitarrenakkorde von The Members tönen durch den Laden.
Mehr als nur Zuhören
Es ist ein kleines Musik-Wunderland in eigentlich schwierigen Zeiten. Zuerst Pandemie, dann Ukraine-Krieg. Das wirkt sich auch auf das „33 1/3“ aus: „Durch die Lockerungen hatte ich mir einen Anstieg der Einnahmen erhofft. Aber dann kam der Ukraine-Krieg und dadurch sind die Leute beim Kauf weiterhin zurückhaltender.“ Als Kunde jedoch kann man im „33 1/3“ abschalten. Auf die Musik fokussieren, alles andere vor der Tür lassen.
An der Kasse trifft man sich zum gemeinsamen Plausch, egal ob bekanntes Gesicht oder Neukunde. Man duzt sich. Schallplatten-Liebe verbindet. Musik spielt im Laden – nicht zu laut, nicht zu leise. Ein Musik-Potpourri nach Wunsch der Gäste oder nach Oberpichlers Gusto. Ein zusätzlicher Plattenspieler ist vor dem Schaufenster aufgestellt.
Wenn keine Musik läuft ist zu hören, wie die Kunden die Platten in den Kisten nacheinander umklappen. Ein Mann blättert durch ein Booklet von Pocos „A good feelin‘ to know“. Ein anderer zieht Bob Dylans „Self Portrait“ aus einer Kiste. Mit den Handinnenflächen hält er die Ränder des Vinyls fest, die Finger liegen auf dem runden Papierstreifen. Wer den Zustand einer Platte checken möchte, der sollte das mit Vorsicht tun. Das ist Gesetz im Platten-Revier.
Denn Plattenhören ist nicht nur bloßes Konsumieren und Zuhören, es beinhaltet auch Ritual und Gefühl: „Physikalisch gesehen gibt es an sich keinen eindeutigen Grund, warum eine Schallplatte besser klingen sollte als eine CD oder Streaming. Für mich klingt der Schallplatten-Sound wärmer – das kann aber auch Einbildung sein“, so Oberpichler. Eine Welt der Musik, in Duisburg verteilt auf ein paar Quadratmetern.
(Fast) so gut wie neu
Und genau diese Welt besteht aus einer Mixtur von Alt und Neu – und allem dazwischen. Neben Vinyl-Patten finden sich auch einige CDs und vereinzelte Bücher im Inneren des Geschäfts. Vinyl hat jedoch unangefochten das Sagen in dieser Welt. Trotzdem vereint sich im „33 1/3“ Vergangenheit und Moderne unmittelbar. Man verkauft zwar Dinge von gestern, aber man ist nicht von gestern. Neben dem Plattenspieler steht ein großer Computerbildschirm. Daneben eine metallene Registrierkasse aus längst vergangener Zeit. Und die Symbiose aus Jung und Alt findet sich auch in der Kundschaft wieder: Ein junger Kunde, etwa Ende 20, fragt nach Punk-Platten. Die gibt’s neben dem Tresen links unter „Independent“. Jerry Lee Lewis hat er sich bereits ausgesucht – ein Rockmusiker, geboren in den 1930ern. Er hat die Platte schon zweimal. Das Cover fehlt ihm jedoch noch in seiner Sammlung – es gibt mehrere. Man kommt ins Gespräch. Über die Cover, Lewis‘ „Last Man Standing“-Album, Live-Auftritte, Chuck Berry und Little Richard.
Auch der wichtigste Rohstoff des Ladens – das Vinyl – verbindet Alt und Neu in ganz eigener Form.
Denn: Die meisten der Schallplatten im Geschäft sind Second-Hand-Ware. Neuware spielt eine geringere Rolle. Der Grund: Die günstigen Preise des Großhandels, bei der das „33 1/3“ nicht mithalten kann. Und auch die Nachhaltigkeit rückt immer mehr in den Fokus: „Vinylplatten sind aus Erdöl: Wer also Second-Hand-Platten kauft, schont auch die Umwelt – im Gegensatz zur Neuware“, so Oberpichler.
In Duisburg ist das gepresste Erdöl also nach wie vor Dreh- und Angelpunkt, zumindest im „33 1/3 Schallplatten“. Das Vinyl trifft offenbar einen aktuellen – und zugleich jahrzehntealten – Zeitgeist.
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