14 Meter tief tauchen für die Gesundheit – obwohl man sich kein Stück bewegt. Ein Blick hinter die Kulissen der Druckkammern des Krankenhauses Bergmannsheil in Gelsenkirchen Buer.

Von Annika Wilk

Tauchen ohne Bewegung – in den Druckkammern des Zentrums der Hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) im Bergmannsheil Buer in Gelsenkirchen. (Foto: A. Wilk)

Ein dauerhaftes Zischen. Es hört sich so an, als ob irgendwo Gas austritt. Mitten im Raum stehen sie, die zwei Druckkammern des Zentrums der Hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) im Krankenhaus Bergmannsheil Buer in Gelsenkirchen. Links die kleine Kammer, die optisch auch ein U-Boot sein könnte. Weiß lackiert, das Gehäuse rund mit Bullaugen als Gucklöcher und einer Tür mit abgerundeten Kanten. Rechts daneben steht die große Kammer, die augenscheinlich einer Kühlkammer einer Großküche ähnelt. Aus ihnen kommt das Zischen.„ Hallo, kommen Sie bitte mit ins Sprechzimmer“, sagt der Funktionsoberarzt Christian Möllenbeck zum wartenden Patienten. Nennen wir ihn hier Herrn Peters, da er nicht namentlich genannt werden möchte. „Dann erzählen Sie mal“, bittet Möllenbeck seinen Patienten und nimmt das Klemmbrett mit den Notizblättern in die Hand. Herr Peters leidet seit Juni 2021 unter Long-Covid. „Anfangs habe ich vier Wochen nur im Bett gelegen und konnte nicht mal eine Runde ums Haus laufen. Als es dann wieder besser wurde, konnte ich auch arbeiten gehen. Jetzt bin ich aber seit acht Monaten krankgeschrieben“, erklärt er. Zu seinen Symptomen gehören hoher Blutdruck, Schwindelanfälle und Konzentrationsschwierigkeiten. Gegen diese kognitiven Probleme kann die HBO helfen. Durch den Druck und den zugeführten Sauerstoff wird die gesamte Sauerstoffversorgung im Körper verbessert. Kleine Blutgefäße können besser wachsen und Blutgefäßverengungen beschränkt werden. Vor Corona war die HBO beispielsweise für Rauchvergiftungen oder Wundheilungsstörungen bekannt. Durch mehrere Studien kam heraus, dass sie auch bei Covid und nachher bei Long-Covid hilft. Die Patienten können sich danach beispielsweise besser konzentrieren.

Empathie schafft Nähe

Der Austausch und die Empathie des HBO-Teams sind bei den Patienten besonders wichtig. Gerade chronisch kranke Menschen leiden wegen ihrer Krankheit oft unter depressiven Verstimmungen. So erzählt Möllenbeck Herrn Peters von seinen Erfahrungen mit Long-Covid: „Es gab eine Zeit, in der ich so wenig Konzentration hatte, dass ich in Ablaufschleifen hängen geblieben bin. Habe ich auf der einen Seite des Blattes etwas gelesen und das Blatt umgedreht, um weiterzulesen, wusste ich nicht mehr, was ich gelesen hatte. So habe ich das Blatt immer wieder in der Hand hin und her gedreht, bis man mich durch Ansprechen aus dieser Schleife herausgeholt hat. Seit der HBO kann ich mich wieder gut konzentrieren.

Natürlich ist die Behandlung aber kein Wundermittel. Ich falle nach so einem Tag wie heute immer noch kaputt auf die Couch.“

Nicht jeder darf in die Druckkammer

Damit ein Patient in die Druckkammer darf, muss seine Atmung und sein Puls gesund sein. Herr Peters hat vor kurzem sein Herz untersuchen lassen, weshalb ein EKG heuten nicht mehr nötig ist. Nach knapp einer halben Stunde voller Fragen und Geschichten holt Möllenbeck das kleine Gerät für den Lungenfunktionstest aus einem Schrank. Der Patient muss, ähnlich wie beim Alkoholtest, einmal kräftig in das Mundstück pusten. Gemeinsam mit seinem Patienten atmet Möllenbeck ein „und pusten… pusten… weiter… und fertig“, feuert er ihn an. Nach dem zweiten Mal Pusten steht fest: Peters darf in die Druckkammer. Nun untersucht Möllenbeck noch das Trommelfell, denn auch hier ist eine gesunde Funktion entscheidend. Peter hält sich die Nase zu und baut Druck auf den Ohren auf. Währenddessen schaut der Arzt ins Ohr. „Keine Auffälligkeiten“, bestätigt er.In der Kammer wird ein Tauchgang simuliert. Peters wird nicht der einzige Patient sein. Die Kammer ist so groß, dass neben vier laufenden auch eine bettlägerige Person mitfahren wird. Bevor es in die Kammer geht, erklärt Möllenbeck seinem Patienten den Ablauf: „Der Druck auf den Ohren ist ähnlich wie beim Tauchen. Die ersten zehn Minuten testen wir, wie gut alle den Druck vertragen. Dann steigen wir 30 Minuten lang auf 14 Meter runter. Ab dann setzen Sie für eine halbe Stunde die Sauerstoffmasken auf. Danach werden die Masken wieder abgesetzt, da der Körper davon eine Pause braucht.“ So gehe das zweieinhalb Stunden im Wechsel. In der letzten halben Stunde werde der Druck in der Kammer wieder langsam abgelassen.

Masken auf Position

In der Druckkammer sitzen die Patienten einander gegenüber – wie in einem Kampfjet. (Foto: A.Wilk)

Die Patienten werden von HBO-Leitung Jörg Simon und dem Pflege-Team angeleitet. Heute geht es in die große Druckkammer. Sie setzen sich in die hellblauen Sitzreihen einander gegenüber. Bei der kurzen Anweisung, wie die Sauerstoffmasken aufgesetzt werden, sehen sie aus, als würden sie in einem Kampfjet sitzen. Die Maske ist mit zwei Schläuchen mit der Decke verbunden. „Sie atmen durch den einen Schlauch 100-prozentigen Sauerstoff ein. Die veratmete Luft wird durch den anderen Schlauch wieder abgehen“, erklärt Simon.

Die Kammer hat drei Türen: eine vorne und zwei zur Kontrollstation hinten raus. Die mittlere Tür führt in die Notfallkabine. In diese kann sich im Notfall ein Pfleger setzen und in wenigen Sekunden auf die gleiche Tiefe tauchen, in der sich der Rest der Kammer befindet. „Ich habe das letztens noch ausprobiert: Ich persönlich schaffe es in 18 Sekunden auf 14 Meter“, berichtet Simon. Denn, „wenn sich der Druck in der Kammer einmal erhöht hat, bekommt man die Türen nicht mehr auf. Die Türen sind nicht verriegelt, nur angelehnt“, erklärt Möllenbeck. 

Tauchen in der Druckkammer

Die Türen werden geschlossen. „Es geht los“, ertönt es in der Kabine über die Lautsprecher. Das hat etwas von Karussellfahren auf der Kirmes. Per Videoüberwachung können die Pfleger jede Bewegung der Patienten verfolgen. Kontinuierlich steigt der Druck in der Kammer und auch die Temperatur wird etwas höher. Das dauerhafte Zischen ist wieder da.
 „Viele denken, man hätte das Gefühl, zusammen gedrückt zu werden. Das ist nicht so. Man merkt nur in den Ohren, dass Druck aufgebaut wird. Vor allem merkt man die Druckveränderung“, erklärt Simon. Auf einer Anzeige können die Insassen die Metertiefe, die Temperatur und die Uhrzeit sehen. Sie kauen auf Kaugummis oder Bonbons herum, denn durch den produzierten Speichel müssen sie öfter Schlucken und können so den Druck auf den Ohren ausgleichen. Das ist wichtig, da sie sich sonst einen Riss im Trommelfell zuziehen können.

Die Testzeit und der Tiefgang auf 14 Meter verläuft gut. Das dauerhafte Zischen verschwindet. Die Temperatur wird durch eine Klimaanlage auf 25 Grad ausgeglichen. „Dann dürfen Sie jetzt die Sauerstoffmasken aufziehen“, ertönt es durch die Lautsprecher. „Die Sauerstoffnutzung kontrollieren wir hier auf diesem Bildschirm“, sagt Simon und zeigt in der Kontrollzentrale auf einen Monitor. Die Zentrale sieht aus wie die Kontrollstation bei einem Raketenstart: Eingebaute Monitore und überall blinkende Knöpfe. Bei einer geplanten Tauchfahrt wie heute verläuft in der Regel alles reibungslos.

Nun heißt es für das Team gute zwei Stunden warten und den Druck in der Kammer halten. Die Patienten vertreiben sich die Zeit mit Lesen oder Entspannen.

Aufwachen und Auftauchen

Die Pflegerin in der Kabine gibt in Tauchsprache das Zeichen „Auftauchen“. Langsam verringert sich der Druck. Auch die Temperatur wird kühler. Das Zischen ist wieder da. Die Patienten spüren nun wieder den Druck auf den Ohren, müssen ihn aber nicht mehr aktiv ausgleichen. Die, die sich entspannt haben, werden langsam wieder wach. Nach insgesamt 135 Minuten öffnen sich die Türen. Losgelöst kommen zwei Patienten heraus. „Geschafft“, jubeln sie. Eine Feierstimmung liegt in der Luft. Herr Peters freut sich auf seine nächste Fahrt: „War super interessant. Ich bin nur jetzt ein wenig müde.“ „Das ist normal, das ist ja auch anstrengend für den Körper. Gönnen Sie sich heute ausreichend Schlaf“, verabschiedet ihn Möllenbeck. Herrn Peters erwarten noch elf weitere Behandlungen. Die Kosten dafür werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Für eine Behandlung zahlt der Patient aktuell 230 Euro.  „Wir bemängeln das. Es wäre für alle beteiligten einfacher, wenn die Krankenkassen die Kosten übernehmen würden. Aber für uns in der HBO steht der Patient im Fokus, alles andere ist Verwaltungssache“, sagt Möllenbeck. 
 Für das Team steht jetzt noch aufräumen und für die Ärzte das Auswerten der Daten an. „Ist nichts Spannendes. Ich trage nur die Fahrtzeiten ein“, erklärt der Funktionsoberarzt. Nach fast neuneinhalb Stunden geht für das Team ein arbeitsreicher Tag zu Ende, das Zischen der Druckkammern verstummt.