Oliver Balke hat einen außergewöhnlichen Beruf: Er ist Förster mitten in der Großstadt Gelsenkirchen. Nur zwei Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt verwaltet der 54-Jährige den Industriewald Rheinelbe. Ein grünes Juwel zwischen den grauen Hausfassaden des Stadtzentrums. Seine Aufgaben sind für einen Revierförster untypisch. Statt Wirtschaft steht Bildung im Vordergrund. Ein Blick in den unkonventionellen Alltag des Försters.

Von Aike Otto

Es ist wie ein Wechsel in eine andere Welt: der Stadtlärm verschwindet und weicht harmonischen Vogelgesang, das Grau wandelt sich in ein saftiges Grün, die Luft ist frisch und kühl, ein süßlicher Geschmack bildet sich auf der Zunge. Mitten im Zentrum von Gelsenkirchen liegt der Industriewald Rheinelbe. Das ehemalige Zechengelände war nach dem Ende der Kohle als Industriebrache der natürlichen Sukzession, sprich der Rückkehr der Natur, überlassen. Oder in Worten von Oliver Balke: „Natur frisst Stadt“.

Der Revierförster empfängt uns mit seiner Hündin Ayka. In braunen Wanderschuhen, beigem Hemd und olivgrüner Fleecejacke verkörpert er einen typischen Förster in Dienstkleidung. Doch er vermittelt schnell, dass seine Arbeit erheblich von der Norm abweiche. „Holzwirtschaft oder Aufforstung spielen hier keine Rolle“, sagt Balke und fügt hinzu: „Wir machen alles nur nicht das Gewöhnliche“. Er bestimmt nicht welche Bäume wachsen sollen und pflanzt nicht, sondern beobachtet die natürliche Entwicklung des Waldes. Statt wirtschaftlicher Betrachtung oder Jagdaufgaben stehen Forschung, Naturschutz und Umweltbildung im Vordergrund. „Wir lassen der Natur freien Lauf“, erklärt Balke.

Aus Industriebrache wird Wald

Wir machen einen klassischen Rundgang. Ayka läuft voraus. Balke grinst und erklärt, dass es typisch für die Hündin sei. Abseits des Weges stehen alte Fragmente der Zechenindustrie, kaum erkennbar und von Bäumen und Pflanzen überwuchert. 1996 wurde das Projekt im Rahmen des Strukturwandels des Ruhrgebiets von der Internationalen Bauausstellung (IBA) unter Leitung von Karl Ganser gestartet. Oliver Balke ist seit mehr als 25 Jahren dabei. Der Revierförster sei sehr dankbar für seine Tätigkeit. „Ich habe keinen Job, ich übe meinen Beruf aus. Ich mache es gerne und habe sehr viel Glück gehabt noch etwas von den Gründervätern gelernt zu haben“, sagt Balke. Das IBA habe viel geschafft und Ganser müsse man dafür entsprechend ehren.

Aus einem alten Gebäude, das früher der Starkstromverteilung der Zechen diente, wurde die Forststation. Es wirkt wie ein Fremdkörper, der von der Natur erobert wurde. Die rote Ziegelwand ist ausgeblasst und leicht marode. Überall hängen kleine Spinnennetze, Ranken bewachsen das Gemäuer. Balke erklärt, dass die Zeche fast vollständig abgebaut sei. Lediglich die Forststation und die anliegende Stromanlage seien übriggeblieben.

„Grüne Sozialarbeiter“

Während des Gesprächs kommt Ayka immer wieder mit der Bitte um Streicheleinheiten auf uns zu. Balke erzählt freudig, dass die Hündin auch bei den regelmäßigen Veranstaltungen mit Schulen und Kitas eine wichtige Rolle einnehme. Diese machen rund ein Drittel seiner Arbeit aus. „Dieses Projekt nutzt die Chance sich auch den Menschen zuzuwenden“, so der Förster. Kinder erlernen spielend den Umgang mit Wald und Natur. Das sei wichtig für die Kindesentwicklung. „Wir sind sozusagen grüne Sozialarbeiter“, sagt Balke mit einem Zwinkern.

Die Luft ist noch kühler geworden, es hat kurz geregnet. Wenn die Vögel nicht singen, ist es fast still, lediglich das Auftreten der Schuhe im matschigen Waldweg oder die entfernte Sirene eines Krankenwagens ist zu hören. Auf den Blättern der Bäume perlen kleine Wassertröpfchen. „Das Schöne an unserem Beruf ist, dass er sehr abwechslungsreich ist“, beschreibt Balke, „man baut sich seine Woche selbst, es ist nie langweilig.“ Allerdings störe ihn die aufwendige Verwaltung. „Der wichtige Teil meiner Arbeit ist draußen und mit den Leuten“, meint der 54-Jährige.

Abenteuerspielplatz Wald

Eines der Routenziele ist der „Froschteich“. Dieser durch Zufall entstandene Tümpel ist ein idealer Ort, um Kindern Tiere näherzubringen, findet Balke. „Man kann zum Beispiel mal eine Kröte in die Hand nehmen“, sagt er. Das klare Wasser umgeben von Schilf, Bäumen und Gras wirkt fast wie ein kleiner Sumpf mitten im Wald. Auch Kaulquappen oder Libellen könne man hier beobachten.

Die Reise geht weiter Richtung „Waldrutsche“, eine durch die Halde entstandenes Gefälle mitten im Wald. Mit kleinen Plastikschalen, die normalerweise beim Winterrodeln eingesetzt werden, können die Kinder hier runterrutschen und rumtoben. „Ein absoluter Kracher bei allen Kindergruppen“, beschreibt Balke den Ort, „Das lässt jeden Spielplatz hinten anstehen.“ Vor allem kämen deswegen viele Besucher wiederholt hierher.

Gefahr durch Klimawandel

Auch der Klimawandel sei im Wald bemerkbar. Drei Dürrejahre und Stürme haben dem Industriewald Schäden zugefügt. An einer weniger bewachsenen Stelle bleiben wir stehen. Balke erklärt, dass sich neben der Birke als Pionierpflanze vor allem der Bergahorn als stabiles Zukunftsgewächs durchgesetzt hat. Er sehe außerdem ein steigendes Umweltbewusstsein bei den Menschen. Nachhaltigkeit sei wichtiger geworden. Wir kommen wieder bei der Forststation an. Ayka bekommt ihre letzte Streicheleinheit und wir verabschieden uns von Herrn Balke. Es geht zurück in den Großstadtdschungel.