Mehr als 37 Milliarden Aufrufe erhält der Hashtag #SelfCare bislang auf TikTok. Längst hat sich eine Branche entwickelt, die Selbstfürsorge käuflich macht- oft in Form von teuren Wellnessartikeln, Skincare Produkten und Super Foods. Wie Self Care noch aussehen kann.

Von Maximiliana Abrahamyan und Athithya Balamuraley

Self Care (auf Deutsch Selbstfürsorge) hat viele Facetten. Dazu gehören alle Aktivitäten, die das eigene Wohlbefinden steigern. Fariha Ngochi organisiert Self Care- und Empowerment-Events und Workshops. Sie arbeitet als Projektleitung des “Ich. Du. Wir -Projekts“ beim BUNDjugend Nordrhein-Westfalen, dem unabhängigen Jugendverband vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Entgegen der teuren Trends sind ihre Events darauf ausgelegt, Self Care für wenig Geld in Form von Achtsamkeit auszuüben. 

Wuppertal statt Bali

Anstelle von instagramtauglichen, teuren Yoga Retreats an abgelegenen Orten der Welt organisiert Ngochi ähnliche Events leicht zugänglich und vor Ort in NRW. Das Angebot ist vielfältig und oft kostenlos oder so günstig, dass auch Jugendliche und junge Menschen aus sozial schwächeren Schichten teilnehmen können. Einige Events sind speziell für Menschen ausgelegt, die Rassismus erlebt haben.

Ein Yoga Retreat in Wuppertal. (Foto: Athithya Balamuraley)

„Self Care ist Widerstand, das war es schon immer

„Self Care ist dafür da, sich selbst zu verstehen”, sagt Ngochi. Wichtig sei, sich Ruhe und Rückzug zu gönnen. „Es geht um Selbstverständnis und die Frage ,Was brauche ich gerade?‘, denn Self Care ist Widerstand, das war es schon immer.” Ngochi berichtet, dass besonders Aktivisten und Aktivistinnen schnell ausbrennen. Grund dafür ist der Wunsch nach Veränderung und Tatendrang, der durch die eigene Betroffenheit noch ausgeprägter sein kann. „Self Care bedeutet für mich, Räume zu schaffen, in denen wir mit uns sein können und in denen wir unser eigenes Wohlbefinden priorisieren.” 

Viele eifern Trends nach und suchen sich Inspiration im Internet. Ngochi steht der Kapitalisierung von Self Care kritisch gegenüber. Ein großes Problem sei, dass Self Care viel zu teuer und exklusiv sei. Es ist vielen nicht möglich, viel Geld dafür auszugeben. Bei einem kürzlich organisierten, kostenlosen Event gab es sehr großen Andrang, „Wir hatten sehr viele Anmeldungen von Menschen aus ganz Deutschland. Es war krass zu sehen, was für einen Bedarf es gibt, weil es kostenlos war.” Der Ursprung des Begriffes “Self Care“ liegt im Civil Rights Movement der 1960er- und 1970er- Jahre. Menschen, insbesondere in schwarzen Communities, die systematisch vom amerikanischen Gesundheitssystem benachteiligt wurden, halfen sich gegenseitig, um ihre medizinische Versorgung zu sichern. In den folgenden Jahrzehnten wandelte sich der Begriff zu dem, was wir heute unter Self Care verstehen – Ein Trend aus Produkten zum Nachkaufen.

Self Care kann vieles sein. (Foto: Rishikesh Yogpeeth)

Kostenfaktor Wellness

Inzwischen findet man viele Marken, die mit aufwändig inszenierter Self Care und Wellness werben. Teure Gesichtsseren, Yoga Retreats und die Idee, sich durch Produkte zur “besten Version“ von sich selbst zu entwickeln. Wellness und Self Care haben sich als Lifestyle Symbole für Luxus und ganzheitliche Gesundheit etabliert. Wie üben Menschen Self Care aus und wie viel Geld kostet sie das? So antworten Menschen in Gelsenkirchen:

Zwischen Selbstschutz und Selbstoptimierung

Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Kai Externbrink aus Gelsenkirchen erklärt die aktuelle Self Care-Bewegung als einen von vielen Trends. Die Produkte befriedigen drei Bedürfnisse: Selbstschutz, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung. Menschen beteiligen sich an Trends, da sie dazugehören möchten. Dieses tief verankerte Bedürfnis erkläre auch, warum Konsumenten regelmäßig große Summen für Self Care-Produkte und Leistungen ausgeben. „In einer aus den Fugen geratenen Welt wird Konsumenten vermittelt, sie können durch Self Care zumindest Kontrolle über ihr eigenes Leben zurückerlangen”, sagt Externbrink. Das Marketing von Self Care bediene sich hierzu auch an sozialen Normen wie “Du brauchst glatte Haut, um dazuzugehören – und mit diesem Produkt erreichst du das.”

Der Effekt der teuren Branche – sie gibt Konsumenten den “richtigen” Weg vor, wie Selbstfürsorge auszusehen hat. Das verengt die Möglichkeit, Self Care Aktivitäten zu finden, die für einen selbst funktionieren, sagt Prof. Dr. Externbrink. Die zukünftige Entwicklung sei schwer einzuschätzen, aber der Self Care-Trend hätte Potenzial, noch lange anzuhalten. Die angebotenen Produkte und Dienstleistungen würden in Zukunft womöglich immer individualisierter, um möglichst viele Konsumenten anzusprechen. Self Care kennt kein richtig oder falsch. Im Vordergrund von Selbstfürsorge stehen Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, die man sich selbst entgegenbringt. Wie das im Endeffekt aussieht und wie viel Geld man dafür ausgibt, ist einem selbst überlassen.