Durch soziale Medien hat jeder die Möglichkeit, seine Meinung öffentlich kundzutun. Doch fühlen sich einige Menschen durch „Cancel Culture“ in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt: „Heutzutage darf man gar nichts mehr sagen“. Schränkt Cancel Culture die Meinungsfreiheit ein? Tagger.de hat mit dem Rechtsanwalt Thomas Kisters gesprochen.  

Von Chimène Goudjinou

Was ist Cancel Culture?

Der Begriff Cancel Culture kommt vom englischen Wort „to cancel“, also „etwas absagen“. Personen oder Organisationen werden von der Öffentlichkeit aus den sozialen Medien ausgeschlossen. Ihnen werden oft beleidigende, rassistische oder homophobe Aussagen, aber auch Handlungen vorgeworfen. Kritiker verwenden den Begriff auch als Schlagwort gegen linke Politik.

Wie wird „gecancelt“?

Menschen folgen der Person, der das Fehlverhalten vorgeworfen wird und konsumieren ihren Content nicht mehr. So entziehen sie der Person die öffentliche Plattform. Außerdem machen sich Menschen bei Influencern auch die Mühe, Werbeverträge zu verhindern, indem sie die Firmen vor dieser Person warnen. Auch Organisationen sind davon nicht verschont. Sie geraten auf eine Blacklist und verlieren Konsumenten. Nach dem Prinzip: „Handle falsch und spüre die Konsequenz deines Handelns.“

Kann man dafür belangt werden?

Theoretisch ja. Doch muss diese Organisation tatsächlich einen Schaden dadurch erleiden. Wenn eine Person nach außen hin eine falsche Pressemitteilung absetzt, die wahrnehmbar ist, schadet sie der Organisation. Das ist strafbar. Im Strafgesetzbuch (StGB) steht unter Paragraf 187, dass diese Tat vor Gericht mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft wird.

Geschieht bei Cancel Culture Rufmord?

Wenn es eine öffentlich bekannte Tatsache ist, dass die Person tatsächlich mehrere Sachen gemacht hat, dann ist es kein Rufmord. Wenn ich wissentlich eine falsche Sache verbreite, dann ist es ein Straftatbestand. Rufmord an sich gibt es nicht, da es kein Straftatbestand ist. Die Straftatbestände in diesem Fall sind üble Nachrede §186 und Verleumdung §187.

Was tun gegen beleidigende Aussagen?

Eine Beleidigung ist ein Straftatbestand. Die Beleidigung muss nicht persönlich gegen dich gehen. Wenn eine Person beleidigende, rassistische oder homophobe Aussagen trifft, hast du zwei Chancen, gegen die vorzugehen. Du kannst zu einem Staatsanwalt gehen und Strafanzeige erstatten. Wenn der Staatsanwalt zustimmt, dass es sich um eine Beleidigung handelt, darf er beim Richter eine Anklage erheben. Die Alternative ist, zu einem Rechtsanwalt zu gehen und beim Richter eine Klage zu erheben, denjenigen zu verurteilen.

Dürfen wir heutzutage gar nichts mehr sagen?

Wir dürfen und können uns über jeden frei äußern. Wenn du aber über die Grenze der Meinungsfreiheit hinwegschreitest und jemanden beleidigst, nötigst du den und hast dann gegen die Meinungsfreiheit verstoßen. 

Schränkt Cancel Culture die Meinungsfreiheit ein?

Nein. Eine Person wendet sich an eine Gruppierung, damit sie gemeinsam die verbreiteten Aussagen abwehren können. Das ist genauso wie politisch betrachtet die Opposition. Cancel Culture ist ein Mittel der Meinungsfreiheit. Nur andersrum betrachtet. Cancel Culture hat die Zielsetzung, etwas klein zu machen. Eine Meinungsfreiheit muss nicht immer etwas Gutes sein. Der Umstand allein, dass du dich frei über andere Personen äußern darfst, zeigt wie weit unsere Meinungsfreiheit geht. Man darf nur nicht über das Ziel hinausschießen. Dennoch ist die Strafanzeige der beste Weg, um gegen beleidigende Aussagen vorzugehen.